«Ich bin erstaunt über die massiven Kürzungen»
Lebensversicherer zahlen über die garantierten Leistungen hinaus meist einen Bonus, den so genannten Überschuss. Seine Berechnung ist intransparent, nicht kontrollierbar und willkürlich.
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K-Geld 4/2006
30.08.2006
Philipp Lütscher
Am 1. Mai 2001 hat Ruth Rusch aus Allschwil BL bei der Swiss Life eine Lebensversicherung Harvest mit einer Einmalprämie in der Höhe von 400 000 Franken abgeschlossen. Die Laufzeit beträgt zehn Jahre.
Gemäss Offerte wird die Kundin am 1. Mai 2011 einen garantierten Betrag in der Höhe von 457 000 Franken erhalten. Hinzu kommen nichtgarantierte Überschussanteile - gemäss Offerte ein Betrag von 131 000 Franken.
Jeweils kurz vor Ablauf eines Versicherungsjahres e...
Am 1. Mai 2001 hat Ruth Rusch aus Allschwil BL bei der Swiss Life eine Lebensversicherung Harvest mit einer Einmalprämie in der Höhe von 400 000 Franken abgeschlossen. Die Laufzeit beträgt zehn Jahre.
Gemäss Offerte wird die Kundin am 1. Mai 2011 einen garantierten Betrag in der Höhe von 457 000 Franken erhalten. Hinzu kommen nichtgarantierte Überschussanteile - gemäss Offerte ein Betrag von 131 000 Franken.
Jeweils kurz vor Ablauf eines Versicherungsjahres erhält Ruth Rusch seither ein Leistungsblatt, in dem die Leistungen der Versicherung sowie die auszuzahlenden Überschüsse festgehalten sind. In den ersten fünf Versicherungsjahren erhielt die Kundin regelmässig rund 10 000 Franken Überschüsse gutgeschrieben.
Im Schreiben vom 24. März 2006 ?ndet sich unter dem Punkt «Total der Überschussanteile» für das laufende Versicherungsjahr jedoch nur noch ein Betrag von Fr. 2081.80. Das Begleitschreiben zum Leistungsblatt verliert kein Wort über die massive, rund 80-prozentige Reduktion der Überschussanteile.
«Ich wusste von Anfang an, dass die Überschüsse nicht garantiert sind», sagt Rusch. Eine so deutliche Kürzung von einem Jahr aufs andere verblüffte sie aber. Sie schrieb der Generalagentur: «Über diese Reduzierung der Überschüsse bin ich sehr erstaunt, hat doch die Swiss Life einen guten Jahresabschluss 2005 erzielt.»
Die Antwort von Swiss Life war ausschweifend, aber nichtssagend. Darin steht etwa: «2005 erreichte das Versicherungsgeschäft Schweiz das Finanzergebnis 2004 nicht mehr ganz. Der für die Überschüsse zugunsten der Versicherungsnehmer zur Verfügung stehende Betrag reichte deshalb nicht aus, (...) um die Überschusszuweisung für das Versicherungsjahr 2006 im Vergleich zum Vorjahr beizubehalten.»
Die Kundin suchte vergeblich konkrete Zahlen im Schreiben. Sie fand keinen Anhaltspunkt, ob das Finanzergebnis, das das Vorjahresergebnis «nicht mehr ganz» erreiche, gleich eine Kürzung der Überschüsse um 80 Prozent rechtfertigt.
Das ist für sie umso stossender, als dieses Finanzergebnis auch die Dividenden an die Aktionäre mit?nanziert. Für das Geschäftsjahr 2005 schüttete Swiss Life eine Dividende von 6 Franken pro Aktie aus. 2004 betrug dieses Geschenk an die Aktionäre erst 4 Franken.
Swiss Life und ihre Konkurrenten halten sich bedeckt beim Festlegen der Überschüsse. Bis anhin kontrollierte das Bundesamt für Privatversicherungen als Aufsichtsorgan wenigstens, dass die Versicherungen korrekte Überschusssätze anwendeten.
Hohe Überschuss-Prognosen als Lockvogel
Das änderte sich Anfang 2006. Die Versicherungen werden bei der Ermittlung der Überschüsse im Einzellebengeschäft seit Anfang 2006 nicht mehr kontrolliert. «Mit der Totalrevision des Versicherungsaufsichtsgesetzes ist die entsprechende Genehmigungspflicht im Einzellebensversicherungs-Bereich weggefallen. Der Gesetzgeber war der Meinung, dass hier der Markt genügend spielt und dies auch so belassen werden sollte», sagt Daniel Künstle vom Bundesamt für Privatversicherungen.
Die Versicherungen weisen ihre Kunden bei Vertragsabschluss zwar korrekt darauf hin, dass die Überschüsse nicht garantiert sind. Die Tatsache, wie stark sie im Verlaufe der Vertragsdauer gekürzt werden können, ist im Verkaufsgespräch jedoch kaum je ein Thema.
Dies nährt den Verdacht, dass die Versicherungen hohe Überschussprognosen als Lockvogel einsetzen, um das Geschäft anzukurbeln. Dazu Rob Hartmans von Swiss Life: «Wir sind zurückhaltend bei den Überschussprognosen. Im Konkurrenzvergleich sieht man aber manchmal hohe Überschussprognosen. Man fragt sich dann, ob die betreffende Gesellschaft einfach so optimistisch ist.»
In Deutschland wird das Gesetz verschärft
Zumindest in einem Punkt geben sich die angefragten Versicherer aber selbstkritisch: bei der Kundenkommunikation. «Wir wollen viel besser werden. Der Kunde hat ein Recht auf mehr Informationen», sagt Swiss-Life-Sprecher Hartmans.
Ab nächstem Jahr werden sich die Versicherungen in diesem Punkt messen lassen müssen. Dann tritt nämlich Artikel 3 des revidierten Versicherungsvertragsgesetzes in Kraft. Er verlangt mehr Einblick in die Grundlagen der Ermittlung der Überschüsse. Experten bezweifeln jedoch, dass sich dadurch viel ändert.
Deutschland ist da einige Schritte weiter: Das Bundesverfassungsgericht hat die bisherigen Vertragsklauseln im Juli 2005 als nicht verfassungsmässig bezeichnet und den Deutschen Bundestag verpflichtet, bis Ende 2007 gesetzliche Regeln zu schaffen, die eine angemessene Überschussbeteiligung sicherstellen. Grund und Höhe einer Überschussbeteiligung müssen dabei für den Versicherungsnehmer jederzeit nachvollziehbar sein.
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Überschuss-Kürzungen auch bei Leibrenten
Bis vor wenigen Jahren war es ein Tabu, die Überschüsse von laufenden Leibrenten zu kürzen. Heute halten sich die Versicherungen auch hier nicht mehr zurück.
M. N.* aus Basel hat 1989 für 200 000 Franken eine aufgeschobene Leibrente bei der Helvetia Patria gekauft. Seit 1995 erhält er eine garantierte Rente von rund 16 400 Franken jährlich.
Hinzu kam bis im letzten Jahr eine Überschussrente von jährlich rund 3600 Franken, was etwa der ursprünglichen Offerte entsprach. 2006 kürzte Helvetia Patria die Überschüsse auf 1200 Franken.
Das schmerzt umso mehr, als es sich um eine laufende Rente handelt. Wegen der Kürzung der Überschüsse muss M. N. jetzt mit einer tieferen Rente leben.
Verärgert über die Kürzungen gelangte M. N. ans Bundesamt für Privatversicherungen (BPV). Das Aufsichtsorgan der Lebensversicherer schrieb ihm: «Unsere Überprüfung hat ergeben, dass die Helvetia Patria die Überschüsse richtig berechnet hat.» Einblick in diese Berechnungen erhielt N. jedoch nicht.
Das BPV weiter: «Da Ihre Leibrente einen garantierten technischen Zinssatz von 3 Prozent aufweist, sind Sie von der Anpassung der Überschussbeteiligung besonders betroffen.» Der technische Zinssatz dient zur Berechnung der garantierten Leistungen.
Und tatsächlich, eine Umfrage von K-Geld bei Helvetia Patria und anderen Lebensversicherern zeigt: Je höher der technische Zins einer Leibrente ist, desto stärker ist üblicherweise die Kürzung der Überschüsse (siehe Tabelle).
Ein Trost bleibt für jene, die eine Leibrentenversicherung in einer Hochzinsphase abschlossen: Ihre aktuelle Rente ist trotz massiver Kürzungen höher als eine Rente, die in der Tiefzinsphase 2003 gekauft wurde.
* Name der Redaktion bekannt