Risiko kann bei Anlagen ­in Wertschriften Verschiedenes be­deuten:

1. Risiko als ­Schwankungsbreite

Bankberater, Vermögensverwalter und Fondsmanager ver­stehen unter Risiko die Schwankungsbreite einer Geldanlage. Deshalb hört man von ihnen fast immer, ­Aktien seien risikoreicher als Obliga­tionen. 

Setzt man Risiko mit Schwankungsbreite gleich, trifft dies tatsächlich zu. Die Ausschläge nach oben und unten – im Branchenjargon die Volatilität – sind bei Aktien viel grösser als bei Obli­gationen. Aktien können im Wert auch mal um 50 Prozent und mehr fallen oder steigen. Das kommt bei Obligationen nicht vor – ausser bei einer Hyper­inflation, die in der Schweiz ­unwahrscheinlich ist.

2. Verlustrisiko bei den Wertpapieren

Das ist eine ganz andere Defini­tion von Risiko. Einige Anleger sagen sich: «Ich bin mir bewusst, dass Obligationen ein bisschen und Aktien stark schwanken. Für mich ist jedoch vor allem wichtig, dass ich zumindest keinen Verlust erleide.» 

Die Vermutung liegt nahe, dass auch für eine Strategie der Verlustvermeidung Obligationen klar besser sind als Aktien. Aber lässt sich das durch die Erfahrung belegen?

Die Grafik «Risiko eines Verlusts» gibt die Antwort. Sie zeigt, wie häufig eine Investition am Ende einer bestimmten Anlage­periode weniger wert war als zu Beginn. Die dazu benutzten Daten für Schweizer Obligationen und Schweizer Aktien er­strecken sich über einen Zeitraum von 118 Jahren, von Anfang 1900 bis Ende 2017. Es handelt sich um reale Renditen nach Abzug der Inflation. Die betrachteten Perioden reichen von 12 Monaten bis zu 30 Jahren. Seit 1900 gab es zum Beispiel 89 Perioden von  30 Jahren.

Überraschendes Resultat: Das Verlustrisiko war bei beiden Anlageklassen in den vergangenen  118 Jahren ziemlich ähnlich. Nach einer Investitionsdauer von drei oder fünf Jahren war das Verlustrisiko von Aktien zwar noch leicht höher, doch schon bei ­einem Anlagehorizont von zehn Jahren war es mit 20 und 21 Prozent praktisch gleich. Bei den ­Aktien fielen die Verluste in Franken bei stärkeren Schwankungen in der Regel grösser aus. Andererseits warfen die Aktien in den ­positiven Jahren meist auch hö­here Gewinne ab.

Vor allem aber: Je länger die Anlagedauer, umso seltener wurden die Verluste. Nach 30 Jahrenlag dieses Risiko bei Null: Keine einzige 30-Jahres-Periode schloss zwischen 1900 und 2017 mit einem negativen Ergebnis ab. Auf die Länge schützten also Oblis ­keineswegs besser vor Verlusten als Aktien. 

3. Das Risiko, eine Zielrendite zu verfehlen

Anlegerinnen und Anleger möchten nicht einfach nur Verluste vermeiden. Sie möchten mehr zurück­erhalten als sie investierten. Die Zielrendite kann zum Beispiel zwei, drei oder noch mehr Prozent pro Jahr betragen. Damit kommt ein weiteres, wichtiges Risiko ins Spiel: das Risiko, die Zielrendite zu verfehlen.

Die zweite Grafik auf Seite 15 zeigt dieses Risiko mit einer Zielrendite von 3 Prozent pro Jahr. Resultat: Schweizer Obligationen blieben in der Mehrzahl der Fälle unter dieser Zielrendite. Es nützte auch nichts, Geduld zu haben. Im Gegenteil: Je länger die Anlagedauer, desto grösser war die Wahrscheinlichkeit, die 3 Prozent nicht zu ­erreichen. In 74 Prozent der 30-­Jahres-Perioden verfehlten Obligationen diese Zielrendite.

Anders bei den Schweizer Ak­tien: Sie erreichten in der Mehrzahl der Fälle mindestens 3 Prozent pro Jahr. Und das Risiko, die Zielren­dite zu verfehlen, sank ab fünf Jahren Anlagedauer immer mehr. 

Nur in 24 Prozent der insgesamt 89 Perioden von 30 Jahren schafften sie die 3-Prozent-Hürde nicht.

Aus Zahlen der Vergangenheit darf man nicht direkt auf die Zukunft schliessen. Doch die betrachteten 118 Jahre erlebten schwere Krisen und goldene Zeiten. Obli­gationen und Aktien werden sich, was Renditen und Risiko betrifft, in Zukunft kaum grundsätzlich anders verhalten.

Risiko eines Verlusts

Lesebeispiel: In 20 Prozent aller 10-Jahres-­Perioden war die reale Rendite der Obligationen negativ. 
Bei Aktien war dies in 21 Prozent aller 10-Jahres-Perioden der Fall, also fast gleich häufig. Man sieht klar, dass das Risiko eines Verlusts bei ­Obligationen und Aktien mit ­zunehmender Anlagedauer ­abnahm – bis auf Null nach 30 Jahren. Bei Aktien sank das ­Verlustrisiko in den ersten fünf Jahren nur leicht.

Zu beachten: Die Tabelle gibt keine Auskunft da­rüber, wie gross die ­Verluste waren.

Risiko einer Rendite unter 3 Prozent pro Jahr

Lesebeispiel: Mit Obligationen blieb man in 64 Prozent aller 10-Jahres-­Perioden unter einer realen Rendite von 3 Prozent pro Jahr. Mit Aktien war dies nur in 38 Prozent der 10-Jahres-Perioden der Fall. Je länger das Geld in Obligationen investiert blieb, umso wahrschein­licher war eine Rendite unter 3 Prozent pro Jahr. ­Anders bei Aktien: Je länger die Anlageperiode, umso unwahrscheinlicher wurde eine ­Rendite unter 3 Prozent. Anders ­gesagt: Umso wahrscheinlicher war die Aktienrendite pro Jahr höher. 

Zu beachten: Die Tabelle gibt keine Auskunft, um wie viel die ­3-Prozent-Marke bei der Rendite ­übertroffen wurde.

Die Details zum Zahlenmaterial der beiden Grafiken

Die langfristigen Renditeangaben stammen aus dem Betrachtungs­zeitraum von Anfang 1900 bis Ende 2017, umfassen also 118 Jahre. ­Daraus wurden die Gesamtrenditen für verschieden Anlageperioden von 1 Jahr bis 30 Jahren berechnet.

Es gab z.B. 99 aufeinanderfolgende 20-Jahres-Perioden (Anfang 1900 bis Ende 1919, Anfang 1901 bis Ende 1920 usw., Anfang 1998 bis Ende 2017). Oder 89 aufeinanderfolgende 30-Jahres-Perioden (Anfang 1900 bis Ende 1929, Anfang 1901 bis Ende 1930 usw., Anfang 1988 bis Ende 2017).

Die berechneten Renditen beruhen auf folgenden Annahmen:

Es wird eine fixe Summe in einen breiten Mix aus Schweizer Obli­gationen bzw. Schweizer Aktien auf einmal investiert und liegen gelassen. 

Zinsen und Dividenden fliessen in die entsprechende Geldanlage. 

Die Inflation wird in Abzug ­gebracht. Denn was für die Sparer wirklich zählt, ist der reale Wert, also die effektive Kaufkraft des ­Geldes. Anlagekosten und Steuern finden keine Berück­sichtigung.Die Datenbasis stammt aus dem «Credit Suisse Global Investment ­Returns Yearbook 2018». 

Berechnungen: BWM AG

Anlagen: Langfristig sollten Sie auf Aktien setzen

Von 1900 bis 2017 warfen Schweizer Aktien real – nach Abzug der Inflation – im Durchschnitt etwa 4,5 Prozent pro Jahr ab. Schweizer Obligationen nur etwa die Hälfte (Dividenden und Zinsen mitgerechnet).

Doch dieser Zeitraum ist für pivate Investoren irrelevant. Selbst ­Lang­frist­anleger dürften selten einen ­längeren Zeithorizont als 30 Jahre haben. Deshalb sollten Sie sich ­bewusst sein: Nicht einmal dann, wenn Sie bereit sind, 30 Jahre lang Geduld zu üben, werfen Aktien immer einen höheren Ertrag ab.

«Garantiert ist nichts», betont Markus Kaussen von der Fonds-Boutique BWM AG in Wollerau SZ. Er machte die Berechnungen für diesen Artikel. Seit 1900 gab es 89 Perioden zu je 30 Jahren. In 18 davon schnitten ­Aktien schlechter ab als Obligationen. Das geschah laut Kaussen zwischen 1902 und 1948 – «als Folge der ­katastrophalen Börsenjahre 1919/20/21 und 1929/30/31.»

Das bedeutet aber auch: Es war die Ausnahme, nicht die Regel, dass ­Obligationen auf die Länge besser abschnitten als Aktien. In 71 von 89 dieser 30-Jahres-Perioden ­schlugen die Aktien die Anleihen. Für Langfristanleger haben Aktien das weitaus bessere Chancen-Risiko-­Verhältnis.

Wer langfristig Vermögen aufbauen will, sollte deshalb vorwiegend oder ausschliesslich Aktien kaufen. «Wer frühzeitig in Rente gehen oder das Alterskapital aufstocken möchte, der hat viel grössere Chancen, dieses Ziel mit Aktien zu erreichen», sagt Markus Kaussen.

Drei wichtige Tipps dazu:

Ob Obligationen oder Aktien – Kosten senken die Nettorendite. ­Deshalb sollten Anleger die Kosten so tief wie möglich halten.

Der Einfachheit halber beschränkt sich der Artikel auf Einmal­investitionen in Schweizer ­Obligationen und Aktien. Anleger tun jedoch gut daran, vor allem bei ­Aktien das Geld international zu streuen. Und die Positionen sollte man schrittweise auf- und später wieder ab­bauen.

Auf Einzeltitel zu setzen ist ­riskanter. Besser: Aktieninvestments mit breit gestreuten Anlagefonds ­tätigen, vorzugsweise mit Indexfonds, die ­einen breiten Markt abdecken.