Pro
Divestment, also der Abzug von finanziellen Beteiligungen, wurde schon in der Vergangenheit erfolgreich eingesetzt, z. B. gegen das Apartheidregime in Südafrika. Die internationale Organisation 350.org treibt Divestment unter dem Namen Fossil Free voran, um das Klima zu schützen. Seit rund einem Jahr ist Fossil-free.ch in der Schweiz aktiv.
«Investitionen in Ölfirmen sind unethisch»
Fossil Free rät aus zwei Gründen zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Erstens, weil solche Investitionen unethisch sind. Die Verbrennung von Erdöl, Gas und Kohle führt zu einem Anstieg von CO₂, das Tausende von Jahren in der Atmosphäre verbleibt. Die dadurch angetriebene Erderwärmung erhöht das Risiko für Extremereignisse, z. B. Dürren (aktuell in Kalifornien), Waldbrände, stärkere Stürme und Überschwemmungen. Der Klimawandel bedroht nicht nur die Lebensgrundlagen der nachfolgenden Generationen, sondern auch vieler Länder. Er ist eine Gefahr für deren politische Stabilität. Immer mehr Menschen empfinden daher Investitionen in Geschäfte mit fossilen Brenstoffen als unethisch. Investoren können mit dem Verkauf zeigen, dass sie Verantwortung übernehmen.
Zweitens sind solche Investitionen riskant. Die Forderung nach verbindlichen Klimazielen verändert das politische und wirtschaftliche Umfeld. Dadurch – und durch lokale Katastrophen – kann der Wert einer Firma plötzlich schwanken oder sinken.
Zusätzlich werden erneuerbare Energien immer konkurrenzfähiger. Mancherorts ist selbsterzeugter Solarstrom bereits günstiger als gekaufter Kohlestrom. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen: Innerhalb weniger Jahre können klima- und gesundheitsschädliche Technologien unrentabel sein.
Indexvergleiche von Fossil Free zeigen, dass fossilfreie Investitionen bessere Renditen liefern können. Richtet ein Investor seine Anlagen zu spät klimafreundlich aus, drohen ihm Wertverluste.
Wenn das Geschäftsmodell einer Firma nicht geändert werden kann oder geändert werden will, dann ist Divestment für einen Investor oft der einfachste oder sogar einzige Weg, um seine Werte zu schützen.
Oliver Marchand ist Präsident des Vereins Fossil-free.ch, der die Divestment-Bewegung fördert
Contra
Was passiert, wenn milliardenschwere Investoren wie die Bill-Gates-Stiftung oder der norwegische Staatsfonds massenhaft Aktien von Brennstofffirmen auf den Markt werfen? Würde das Management von BP oder Shell demütig die Ölhähne schliessen und nur noch Windkraftanlagen bauen?
Wohl kaum. Die Aktien würden im Preis fallen und von skrupellosen Spekulanten gekauft – mit dem Hauptziel des schnellen Profits. Und vermutlich würde ihre Taktik aufgehen: So schnell der Aktienkurs durch die Divestment-Aktivitäten fallen würde, so schnell würde er durch die spekulativen Käufe wieder steigen. Doch an langfristigem Investieren und einem ersthaften Dialog mit der Unternehmensführung haben Spekulanten in der Regel kein Interesse.
Wir empfehlen unseren Kundinnen und Kunden meist, investiert zu bleiben. Aber sie sollen ihre Pflichten als Miteigentümer des jeweiligen Unternehmens ernst nehmen! Das heisst: aktiv an Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen herantreten, Fragen stellen, Unmut kundtun und Veränderungen fordern.
Seriösen Unternehmen sind die Meinungen des Publikums nicht egal. Unangenehme Wortmeldungen an Generalversammlungen oder von kritischen Medien lancierte Kampagnen gegen Produkte oder Dienstleistungen können schnell sehr ungünstige Folgen haben – und zwar für die verantwortlichen Manager und den Aktienkurs ihres Arbeitgebers. Deutlich schlimmere Folgen übrigens als kurzfristige, durch Divestment ausgelöste Verkaufswellen.
«‹Investiert bleiben› – diese Option hat für uns Vorrang»
Dessen sind sich die Manager und Verwaltungsräte bewusst. So hat kürzlich ein unter dem Namen «Aiming for A» agierendes Konsortium aus internationalen Investoren die Ölriesen BP und Shell dazu bewogen, entscheidende Schritte in Sachen Klimaschutzmassnahmen zu ergreifen.
Ganz verwerfen wir die Verkaufsoption übrigens nicht. Sie spielt eine entscheidende Rolle als Druckmittel und letzte Massnahme, wenn alle Stimmrechtsausübungen und andere Engagements nicht fruchten. Doch die Option «Investiert bleiben» hat für uns Vorrang.
Peter Wüthrich ist Co-Chef der Investmentberatung «OnValues», spezialisiert auf Nachhaltigkeit