Die Preise mancher Stöcke sind zum Davonlaufen
Nordic-Walking-Stöcke sind häufig zu teuer: Günstige Modelle schneiden beim Kassensturz-Test genauso gut ab wie die angeblichen Luxusmodelle.
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saldo
23.06.2004
Matthias Aebischer
Was die Skandinavier bereits seit sieben Jahren praktizieren, begeistert zunehmend auch Schweizerinnen und Schweizer: Nordic Walking, Marschieren als Ganzkörper-Training, indem der Läufer zwei Spezialstöcke einsetzt. Allein für diesen Sommer haben die Sporthändler mehr als 100 000 Paar Nordic-Walking-Stöcke bestellt. Gab es vor einigen Jahren mit Exel bloss einen Stockhersteller in der Schweiz, sind es mittlerweile rund ein halbes Dutzend.
Es gibt Stöcke aus Karbon und solc...
Was die Skandinavier bereits seit sieben Jahren praktizieren, begeistert zunehmend auch Schweizerinnen und Schweizer: Nordic Walking, Marschieren als Ganzkörper-Training, indem der Läufer zwei Spezialstöcke einsetzt. Allein für diesen Sommer haben die Sporthändler mehr als 100 000 Paar Nordic-Walking-Stöcke bestellt. Gab es vor einigen Jahren mit Exel bloss einen Stockhersteller in der Schweiz, sind es mittlerweile rund ein halbes Dutzend.
Es gibt Stöcke aus Karbon und solche aus Aluminium. Welche sind besser? Profes-sor Hermann Schwameder, Sportwissenschafter an der Uni Salzburg (A), hat bei verschiedenen Nordic-Walking-Stöcken die Vibrationen und deren Auswirkungen auf den menschlichen Körper untersucht. Er kommt zum Schluss: Die Schwingungen in den Stöcken sind unschädlich für den Menschen.
Entscheidend ist der Komfort und nicht das Material
Hermann Schwameder rät, bei einem Stocktest den Komfort in den Vordergrund zu stellen. Dasselbe empfiehlt nach mehreren wissenschaftlichen Tests auch der Sportmediziner Hans Joachim Rist von der Rennbahnklinik in Muttenz BL.
Kassensturz liess 15 verschiedene Nordic-Walking-Stöcke auf ihren Komfort testen. 25 Seniorinnen und Senioren einer Pro-Senectute-Gruppe und 25 Sportstudenten der Universität Bern legten mit jedem Stock 400 Meter zurück. Sie beurteilten zum einen das allgemeine Wohlbefinden, zum andern die Handhabung und Bequemlichkeit von Griff und Schlaufe mit je einer Note von 1 bis 10. 1 steht für miserabel, 10 für optimal. Die Testpersonen gaben ferner einen kurzen Kommentar zu jedem Stock ab.
Praxistest widerlegt Kaufargumente
Die Auswertung der Resultate zeigt Verblüffendes. Die Verkaufsargumente der Stockhersteller - geringes Gewicht und Stabilität - spielen für die Läufer nur bedingt eine Rolle. «Der war mir zu leicht und zu starr. Ich hatte den Eindruck, der Stock würde demnächst kaputtgehen», sagt etwa eine Seniorin über den 154 Gramm leichten Karbon-Stock Exel Sport. Ein Student meint: «Gewicht und Material sind nicht so wichtig. Viel entscheidender sind Griff und Schlaufe. Wenn der Stock hinten immer herumpendelt oder mich die Schlaufe drückt, so passt mir das überhaupt nicht.»
Der Testsieger Leki Pacer, ein Karbon-Stock für 199 Franken, begeistert fast alle. Er ist leicht und vor allem: Die Schlaufe ist dank einem Klick-System einfach abzunehmen - ideal, wenn der Läufer die Nase putzen oder die Schuhe binden muss.
Hersteller kann Preisunterschied nicht erklären
Die KV-2- und die Chung-Shi-Stöcke schneiden fast gleich gut ab. Das ist kein Zufall. Sie werden alle von der Firma des ehemaligen russischen Langlaufprofis Tauf Khamitov in der Nähe von Biasca TI produziert. «Die Stöcke haben zwar unterschiedliche Schlaufen und Griffe, der Rest des Materials, der Stock selbst also, ist genau gleich», erklärt der Ex-Laufprofi. Weshalb trotz der gleich guten Benotung der eine Stock 179 Franken kostet und der andere nur 89 Franken, kann Khamitov nicht erklären.
Erst im Mittelfeld des Kassensturz-Tests taucht der erste Exel-Stock auf. Bei diesen Modellen bemängeln die Testpersonen vor allem den Griff und die Schlaufe: «Zu unbequeme Griffform», «zu komplizierte Schlaufe». Exel-Generalimporteur Urs Ryffel nimmt das Resultat mit Erstaunen zur Kenntnis und verspricht: «Wir nehmen diese Herausforderung an und werden unsere Produktepalette aufs nächste Jahr erneuern und erweitern.»
Am schlechtesten schneiden die Stöcke des Herstellers Swix ab: Von den letzten fünf Rängen belegen sie deren drei. Fast alle Testpersonen kritisieren die zu steife Schlaufe.
Komfortable Stöcke schon für unter 100 Franken
Swix teilt mit: «Werden bei der Erstbenutzung die Schlaufen nicht fachgemäss auf die Handgrösse des Testers eingestellt, so kann es vorkommen, dass die Schlaufen rutschen. Der Tragkomfort der Schlaufe hängt - ähnlich wie beim Schuh - vom mehrmaligen Benutzen ab.»
Fazit: Die neue Trendsportart muss nicht teuer sein. Gute Stöcke gibt es schon unter 100 Franken.
Gelenke werden doch belastet
Nordic Walking ist sicher eine sehr gesunde Sportart», sagt Joachim Rist, leitender Arzt der Rennbahnklinik in Muttenz. «Vor allem für Übergewichtige, Wiedereinsteiger in den Ausdauersport sowie für Menschen mit Kreislaufbeschwerden.» Rist hat die neue Trendsportart aus sportmedizinischer Sicht getestet. Seine Untersuchungen ergaben: So absolut gelenkschonend, wie einige behaupten, ist Nordic Walking nicht.
Mit dem Argument, das Marschieren mit den beiden Spezialstöcken sei besonders schonend für die Gelenke, gehen die Nordic-Walking-Industrie und die Fitnessszene seit Jahren auf Kundenfang; Knie und Fussgelenke würden beim Auftreten um 30 Prozent entlastet. Doch die neusten Tests der Rennbahnklinik zeigen: Das ist übertrieben; beim Gehen in der Ebene werden Knie, Hüfte und Fussgelenke beim Auftreten sogar noch stärker belastet als beim normalen Gehen. «Beim Abstossen hingegen ist eine Reduktion ersichtlich», erklärt Rist.
Auch die These, Karbon-Stöcke seien besser als Aluminium-Stöcke, lässt Joachim Rist nicht gelten. Dass Letztere wegen ihrer Vibrationen zu einem sogenannten Tennisarm führen, ist sportmedizinisch nicht belegt.