Die 60-jährige Spitalsekretärin aus dem Kanton St. Gallen war ­erstaunt über die Unterlagen von ihrer Pensionskasse. Darin stand, bei der St. Galler Pen­sionskasse fürs Staatspersonal gelte für Frauen und Männer das gleiche ordentliche Rentenalter – nämlich 65.

Wie geht das, wenn doch im Pensionskassengesetz steht, das Rentenalter für Frauen liege bei 64 Jahren? Des Rätsels Lösung liegt darin, dass die meisten Pensionskassen-Versicherten ein obligatorisches und ein überobligatorisches Altersguthaben haben (K-Geld 5/14). Und dass die Kassen mit dem Überobligatorium frei jonglieren können, solange sie die gesetzlichen Bestimmungen fürs Obligatorium einhalten.

Die Erläuterung an einem konkreten Beispiel: Im obliga­torischen Bereich gilt aktuell ein gesetz­licher Umwandlungssatz (UWS) von 6,8 Prozent. Er legt fest, wie viel Rente aus einem bestimmten Kapital resultiert. Bei einem obli­gatorischen Alterskapital von 150 000 Franken sind das 10 200 Franken pro Jahr. Diese Basis darf keine Pensionskasse unterschreiten.

Die Grafik rechnet aber mit ­einem Gesamt-Altersguthaben von 300 000 Franken, bestehend je zur Hälfte aus Obligatorium und Überobligatorium. Folge: Würde der Umwandlungssatz von 6,8 Prozent auch auf dem Überobligato­rium angewendet (grün unterlegt), er­gäbe das eine Jahresrente von total 20 400 Franken.

Gehen Frauen mit 64 in Pension, gilt das als Frühpensionierung

Doch viele Pensionskassen ­wandeln das gesamte Guthaben zu einem insgesamt tieferen Satz um. Die Post zum Beispiel wandelt die gesamte Summe im Alter 65 nur mit 5,85 Prozent um. Der mittlere Balken zeigt, dass die 6,8 Prozent des Obligatoriums dabei dennoch eingehalten sind, dass aber auf dem Überobligatorium nur noch ein Umwandlungssatz von 4,9 Prozent zur Anwendung kommt (blau unterlegt). Die Kassen nennen dies das Anrechnungsprinzip.

Die Post kennt ebenfalls das einheitliche Rentenalter 65 für Frauen und Männer. Der unterste Balken zeigt nun: Will eine Frau dennoch mit 64 aufhören, so gilt dies als Frühpensio­nierung, und sie muss sich das mit einer Renten­kürzung «erkaufen». Das gesetz­liche Minimum mit dem Umwandlungssatz von 6,8 Prozent ist immer noch eingehalten (grau), doch auf dem Überobligatorium ­resultierte nur noch ein Rente von 6900 Franken pro Jahr (rosa), was einen bescheidenen Umwandlungssatz von gerade mal 4,6 Prozent ergibt.

Das Bundesamt für Sozialver­sicherungen schätzt, dass 2010 fast jede fünfte Frau von diesem Mechanismus betroffen war – vor allem in den Pensionskassen für Staatsangestellte und Beamte. Der Anteil dürfte inzwischen gestiegen sein.