Antibaby-Pille - Ohne Rezept verkauft
Inhalt
Gesundheitstipp 8/2000
01.08.2000
Stichprobe: Apotheken nehmen es mit der Rezeptpflicht nicht so genau
Die Antibaby-Pille erhält man in Apotheken problemlos auch ohne Rezept. Das zeigt eine Stichprobe des Puls-Tip. Die Kantonsärzte sind darüber nicht erfreut.
Judith Stillhart wollte die Antibaby-Pille. Die 26-jährige Studentin hatte sie einige Monate zuvor verschrieben bekommen, aber nach kurzer Zeit wieder abgesetzt, weil sie sie nicht vertrug. Inzwischen war die St. Gallerin umgezogen, eine ne...
Stichprobe: Apotheken nehmen es mit der Rezeptpflicht nicht so genau
Die Antibaby-Pille erhält man in Apotheken problemlos auch ohne Rezept. Das zeigt eine Stichprobe des Puls-Tip. Die Kantonsärzte sind darüber nicht erfreut.
Judith Stillhart wollte die Antibaby-Pille. Die 26-jährige Studentin hatte sie einige Monate zuvor verschrieben bekommen, aber nach kurzer Zeit wieder abgesetzt, weil sie sie nicht vertrug. Inzwischen war die St. Gallerin umgezogen, eine neue Ärztin wollte sie nicht suchen.
Eine Kollegin riet ihr, die Pille einfach in der Apotheke zu holen. Judith Stillhart ging hin - und erhielt das Gewünschte problemlos. Das war vor drei Jahren. «Seither habe ich die Pille immer ohne Rezept geholt», erzählt sie. Verweigert habe man sie ihr noch nie.
Tatsächlich ist es erstaunlich einfach, die Antibaby-Pille ohne Rezept zu bekommen, wie eine Stichprobe des Puls-Tip zeigt. Keine einzige der zehn zufällig ausgewählten Apotheken in Zürich, Basel und St. Gallen bestand auf dem Rezept. Manche Apothekerinnen oder Pharma-Assistentinnen fragten zwar, ob die Kundin «zur Kontrolle geht». Doch ein einfaches «Ja» genügte ihnen.
Vier Apotheken geben immerhin nur eine Monats-Packung «zur Überbrückung» ab. Dies ist laut IKS-Reglement in dringenden Fällen erlaubt, um «unmittelbare Gefahr für das Leben oder die Gesundheit» abzuwenden. Sechs Apotheken allerdings verkaufen eine Drei-Monats-Packung. Die Beute eines Tages: Die Pille für fast zwei Jahre.
«Das übersteigt die Bandbreite des Tolerierbaren», sagt Werner Pletscher, Zürcher Kantonsapotheker. Für eine Ein-Monats-Packung könne er ein gewisses Verständnis aufbringen, nicht aber für Drei-Monats-Packungen ohne verbindlichen Hinweis auf die Arztvisite. «Es scheint vielen nicht mehr bewusst zu sein, dass die Pille ein Hormonpräparat ist, das in den Hormonhaushalt eingreift.»
Auch Dieter Schilling, Kantonsapotheker in St. Gallen, ist nicht glücklich über das Ergebnis. In St. Gallen waren die aufgesuchten Apotheken besonders freigebig. Alle vier verkauften sofort eine Drei-Monats-Packung. Zwei Pharma-Assistentinnen fragten nicht einmal nach einem Rezept. Und die andern zwei gaben sich mit der lakonischen Erklärung «Meine Ärztin hat mir kein Rezept gegeben» zufrieden. «Das ist fast fahrlässig», sagt Dieter Schilling. «Die Behörden haben die Rezeptpflicht ja nicht umsonst verhängt.»
Jean-Christophe Méroz von der IKS bestätigt: «Das darf nicht sein. Ein Hormonpräparat ist heikel und gehört unter ärztliche Kontrolle.»
Für die Rezeptpflicht gibt es gute Gründe. «Ein Teil der Frauen darf die Pille nicht nehmen», sagt Estilla Maurer, Oberärztin am Zürcher Uni-Frauenspital. «Ein Arzt muss zum Beispiel Gerinnungsstörungen oder Bluthochdruck ausschliessen.» Bei Raucherinnen sei es zudem wichtig, welche Pille sie verschrieben bekommen. «Die Pille erhöht das Thrombose-Risiko bei Raucherinnen um das 35-fache.» Schliesslich müsse eine Frau jährlich zur Kontrolle.
Dass die St. Galler Apotheken so verkaufsfreudig sind, kann mit der Selbstdispensation zu tun haben, die im Kanton St. Gallen verbreitet ist. Viele Ärzte dürfen selber Medikamente verkaufen.
Judith Stillhart hat damit Erfahrungen gemacht: Als ihre St. Galler Ärztin die Pille verschrieb, gab sie ihr kein Rezept. «Sie wollte, dass ich die Pille bei ihr kaufe», sagt die Studentin. Für den St. Galler Kantonsapotheker Dieter Schilling ein klarer Verstoss: «Die Ärztin müsste auf Verlangen ein Rezept ausstellen.»
Auch der Kanton Baselland kennt die Selbstdispensation. «Die Apotheken geraten unter Druck durch die Ärzte, die Medikamente verkaufen», sagt Hans-Ulrich Schmassmann von der Barfüsser-Apotheke in Basel.
Für den Zürcher Kantonsapotheker Werner Pletscher ist klar: «Der kommerzielle Verdrängungskampf verroht die Sitten.»
Markus Fritz, Apotheker und Geschäftsführer der Schweizerischen Medikamenten-Informationsstelle SMI, findet es nicht tragisch, ein bestehendes Rezept zu verlängern: «Wichtig ist aber zu prüfen, dass die Frau versteht, weshalb sie in die Kontrolle gehen muss.»
Doch der Fall von Judith Stillhart zeigt: Sie beschaffte sich nach einer Pause einfach eine andere Pillen-Sorte, weil sie die erste nicht vertrug. Ob Gynera - eines von etwa 50 Präparaten - für die Raucherin das richtige ist, hat nie eine Ärztin geprüft.
Und weder Apotheker noch Pharma-Assistentin kontrollierten je, ob Judith Stillhart tatsächlich ein Rezept hat.
Anita Baumgartner
So reagierten die Apotheken
Sieben von zehn aufgesuchten Apotheken nahmen Stellung. Manche räumten Fehler ein, andere wiesen auf die Gefahr einer unerwünschten Schwangerschaft hin. Drei Apotheken, die eine Drei-Monats-Packung verkauften, antworteten nicht.
Dreier-Packung:
- Hongler, St. Gallen: «Leider hat unser Qualitätssystem in Ihrem Fall versagt. Die Pharmaassistentinnen werden beim genauen Erfragen der Grunddaten oft sehr unhöflich behandelt. Wir werden den Vorfall zum Anlass nehmen, unsere Qualitätskontrolle zu überprüfen und zu verbessern.»
- Hecht, St. Gallen: Dass eine Kundin die Pille ohne Rezept verlange, «ist relativ häufig». Das Personal müsse in solchen Fällen «konkrete Fragen» nach einem «standardisierten Schema» stellen. Dies war bei der Puls-Tip-Mitarbeiterin jedoch nicht der Fall.
- Barfüsser, Basel: «Die Abgabe von rezeptpflichtigen Medikamenten ohne Rezept entspricht keineswegs unseren Gepflogenheiten. Normalerweise geben wir nur für einen Monat ab.»
Einer-Packung:
- Odeon (Zürich), Bahnhof (Zürich), Central (Zürich) und Steinen (Basel): In dringenden Fällen dürfe ein Apotheker ein rezeptpflichtiges Medikament ausnahmsweise auch ohne Rezept abgeben. Dies sei sinnvoller, als die Einnahme der Pille zu unterbrechen.