Armut - Gelebte Solidarität
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saldo 4/2001
28.02.2001
Sechs Kinder in einem Schlafzimmer, das Haus unisoliert und hohe Schulden. Der Kassensturz-Bericht zeigte Wirkung: Bauernfamilie Siegrist erlebt eine Welle der Solidarität.
Franz Siegrist sitzt am Küchentisch, faltet seine Hände. "Finanziell geht das Bauern so eigentlich nicht." Und nach einem Seufzer fügt er an: "Doch wenn man die unbezahlbaren Werte dahinter sieht, dann geht es."
Die kleinen Erträge gingen in die Stallsanierung
Die Baue...
Sechs Kinder in einem Schlafzimmer, das Haus unisoliert und hohe Schulden. Der Kassensturz-Bericht zeigte Wirkung: Bauernfamilie Siegrist erlebt eine Welle der Solidarität.
Franz Siegrist sitzt am Küchentisch, faltet seine Hände. "Finanziell geht das Bauern so eigentlich nicht." Und nach einem Seufzer fügt er an: "Doch wenn man die unbezahlbaren Werte dahinter sieht, dann geht es."
Die kleinen Erträge gingen in die Stallsanierung
Die Bauernfamilie in Röthenbach BE lebt in Armut. Mutter Ursula Siegrist muss Nachtarbeit im Spital Fruttigen BE leisten, um noch Geld zu verdienen. Die sechs Knaben teilen sich ein Schlafzimmer - im 200-jährigen Bauernhaus im Emmental ist es bitterkalt. Für die dringend benötigte Isolierung fehlt das Geld. Das bescheidene Einkommen aus der Landwirtschaft musste die Familie für die Stallsanierung ausgeben - sonst hätte sie geltende Vorschriften nicht mehr einhalten können und den Hof schliessen müssen. 350 000 Franken Schulden lasten seither auf der Familie - die jährlichen Direktzahlungen des Bundes von 25 000 Franken reichen nicht weit.
Kassensturz berichtete Ende Januar über ihre finanziellen Nöte und löste damit eine Welle der Solidarität aus. Auf der Redaktion meldeten sich Dutzende, die der Familie helfen und Geld oder Kleider spenden wollten. Franz Siegrist: "Viele Leute haben uns spontan angerufen und gefragt, was wir brauchen könnten. Das war ein Aufsteller." Doch der Familienvater äussert auch einen Gedanken, der nachdenklich stimmt: "Wir müssen jeden Franken zweimal umdrehen. Aber eigentlich geht es uns ja gut."
Patenschaftsaktion: 150 000 Franken für Familie Siegrist
Diese Bescheidenheit, auch die Unsicherheit, wie mit privaten Spenden umzugehen sei, erlebt Beatrice Rohr oft. Sie leitet das Hilfswerk Patenschaft Coop für Berggebiete, das im letzten Jahr 2,6 Millionen Franken an Bergbauern in Not ausbezahlt hat. Den Betroffenen fällt es meist leichter, Geld von Hilfswerken anzunehmen. Rohr: "Siegrists sind wegen der Stallsanierung unverschuldet in eine Notlage geraten. Wir wollen ihnen 150 000 Franken bezahlen und so für eine bessere Zukunft mithelfen. Damit könnte die Familie ihr Haus umbauen." Um dieses Ziel zu erreichen, hat das Hilfswerk eine Patenschaftsaktion lanciert. Franz Siegrist hofft, dass der Umbau noch vor dem nächsten Winter fertig gestellt werden kann: "Die geplante Unterstützung freut uns sehr. Damit können wir das Haus isolieren und die sechs Buben müssen sich nicht mehr ein Zimmer teilen."
Sehr viele Bergbauern leben in Armut
Bevor das Hilfswerk grünes Licht für die Patenschaftsaktion gab, beurteilten externe Landwirtschaftsberater die Zukunftschancen des Bauernbetriebes als gut.
Siegrists wird auch dank der Solidarität zahlreicher Zuschauer geholfen. Doch viele andere Menschen leben in der reichen Schweiz ebenfalls in Armut. "Unter den Bergbauern gibt es sehr viele Leute in Not. Das Vieh lebt dort manchmal besser als die Menschen", sagt Beatrice Rohr vom Hilfswerk für Berggebiete.
Marc Meschenmoser
Wer eine Patenschaft für die Familie Siegrist oder andere Bergbauern in Not eingehen will, kann sich melden bei: Patenschaft Coop für Berggebiete, Postfach 2550, 4002 Basel. Telefon 061 336 71 05. Das Hilfswerk ist unabhängig vom Grossverteiler, Coop bezahlt jedoch alle Administrativkosten.