Béatrice Baumgart, 61: Leben nach Flugzeugabsturz «Die Angst beherrschte mich»
Inhalt
Gesundheitstipp 11/2000
01.11.2000
Es hat über 20 Jahre gedauert, bis ich meinen mittleren Lebensabschnitt endlich begreifen konnte. In dieser Zeit habe ich viel durchgemacht, hingenommen und geweint. Heute würde ich sagen: Ich habe das Leben damals nicht gelebt, sondern das Leben hat mich gelebt.
Als junge Frau erlebte ich einen Flugzeugabsturz. Der Pilot wollte noch während der missglückten Landung durchstarten. Die Cessna hatte bereits wieder abgehoben, als sie sich plötzlich aufbäumte und kopfüber auf di...
Es hat über 20 Jahre gedauert, bis ich meinen mittleren Lebensabschnitt endlich begreifen konnte. In dieser Zeit habe ich viel durchgemacht, hingenommen und geweint. Heute würde ich sagen: Ich habe das Leben damals nicht gelebt, sondern das Leben hat mich gelebt.
Als junge Frau erlebte ich einen Flugzeugabsturz. Der Pilot wollte noch während der missglückten Landung durchstarten. Die Cessna hatte bereits wieder abgehoben, als sie sich plötzlich aufbäumte und kopfüber auf die Wiese stürzte. Wir vier Insassen rannten um unser Leben, trotz Prellungen und Schürfwunden, denn es bestand Explosionsgefahr.
Das ist lange her, aber ich erinnere mich noch an jedes Detail. Dass ich den Kopf heftig anschlug. An die blauen Spuren der Sicherheitsgurten auf meiner Haut. Ich weiss noch, welche Kleider ich trug und was der Pilot uns zuschrie. An Gefühle jedoch erinnere ich mich nicht. Es sind nur noch Bilder da. Heute bin ich überzeugt, dass ich meine Gefühle verdrängt und nie verarbeitet habe.
Kurz nach dem Absturz wanderte ich nach Australien aus. Die Schönheiten dieses Kontinents, das Erschaffen und die Pflege eines neuen Freundeskreises sowie mein berufliches Engagement ermöglichten mir, meine schleichend aufkommenden Angstgefühle zu ignorieren. Ich war stark beschäftigt und stürzte mich immer wieder in neue Tätigkeiten. Beim Fliegen, was ich innerhalb Australiens aus geschäftlichen Gründen oft musste, entwickelte sich meine Angst jeweils zur Panik. Ich führte dies auf den Flugzeugabsturz damals zurück.
Nach der Rückkehr in die Heimat beherrschte die Angst mein Leben immer stärker. Ich bekam Mühe, meine Alltagspflichten zu erfüllen, mied Kontakte und verlor die positiven Aspekte des Lebens aus den Augen. Um keinen Preis wollte ich mir meine Angst anmerken lassen. Wie es in mir drinnen aussah, ging niemanden etwas an. Ich reiste sogar mit dem Flugzeug in die Ferien. Einmal erlitt ich einen Kollaps während der Landung und wurde mit Blaulicht ins nächste Spital transportiert.
Dieses Vertuschen und Unterdrücken raubte mir viel Energie. Ich meinte manchmal, ich hätte einen Riesenkopf. Nur mein Spiegelbild machte mir klar, dass das nicht stimmte. Ich bekam Migräne, Schlafstörungen, Hautausschläge sowie Bauch- und Rückenschmerzen. Jahrelang war ich in ärztlicher Behandlung deswegen. Kein Arzt konnte mir helfen. Ich hatte zu nichts mehr Lust, fühlte mich als Versagerin im Leben und zog mich immer mehr zurück.
Den tiefsten Punkt erlebte ich vor 13 Jahren, aber auch den eindrücklichsten. Wie durch ein Wunder erkannte ich, dass ich mich meiner Angst stellen musste. Ich begann mein Leben zu analysieren und mich mit meiner Angst zu beschäftigen. Ich kaufte psychologische Fachliteratur und besuchte Vorträge und Kurse.
Was ich las und hörte, fesselte mich derart, dass ich Mut bekam, an mir zu arbeiten, jeden Tag neu. Ich baute wieder Beziehungen auf und setzte mir Ziele. Von da an ging es aufwärts.
Im Nachhinein würde ich schon von Anfang an professionelle Hilfe suchen. Die hätte ich nämlich dringend gebraucht. Meine damaligen Hilferufe konnte niemand hören, weil ich sie nicht ausgestossen habe. So habe ich Jahrzehnte meines Lebens verschenkt, bis es endlich wieder lebenswert wurde.
Aufgezeichnet: Evi Biedermann
Das können Sie gegen Flugangst tun - Flugangst: Alkohol und Nikotin beim Fliegen meiden
Ein Flugzeugabsturz kann für Überlebende traumatische Folgen haben: Psychosomatische Reaktionen können die Lebensqualität erheblich einschränken. Im Gegensatz dazu tritt Flugangst nur auf in unmittelbarem Bezug zum Fliegen.
Statistisch gesehen hat jeder dritte Passagier Flugangst. Generell gilt:
- sich der Angst stellen
- darüber reden
- therapeutische Hilfe suchen
- Alkohol, Medikamente und Nikotin während des Fluges meiden
- Atem- und Entspannungsübungen machen
- Kurse: Swissair und Crossair veranstalten zweitägige Seminare gegen Flugangst. Telefon: 01 893 19 48 (Swissair), 061 325 72 72 (Crossair).
- Buchtipp: Allan Carr: «Endlich fliegen ohne Angst!» Erscheint demnächst im Goldmann Verlag.