Darf der Arzt auch gegen den Willen eines Verstorbenen dessen Organe entnehmen?
Inhalt
Gesundheitstipp 11/2000
01.11.2000
Kürzlich diskutierte ich mit meiner Freundin über die Organentnahme bei Toten. Sie glaubt, dass der Arzt nach dem Tod in jedem Fall, also auch gegen den früheren ausdrücklichen Willen des Verstorbenen, Organe entnehmen darf. Stimmt das wirklich?
Nein. Zu Lebzeiten gilt: Ohne die Zustimmung des voll informierten Patienten ist jeder ärztliche Eingriff in den Körper eine unbefugte Persönlichkeitsverletzung oder eine Verletzung des Verfassungsrechts der persönlichen Freiheit. ...
Kürzlich diskutierte ich mit meiner Freundin über die Organentnahme bei Toten. Sie glaubt, dass der Arzt nach dem Tod in jedem Fall, also auch gegen den früheren ausdrücklichen Willen des Verstorbenen, Organe entnehmen darf. Stimmt das wirklich?
Nein. Zu Lebzeiten gilt: Ohne die Zustimmung des voll informierten Patienten ist jeder ärztliche Eingriff in den Körper eine unbefugte Persönlichkeitsverletzung oder eine Verletzung des Verfassungsrechts der persönlichen Freiheit. Zwar endet die Persönlichkeit mit dem Tod. Doch laut Bundesgericht schützt die persönliche Freiheit das Recht des Menschen, über seinen toten Körper zu verfügen. Somit darf jeder Anordnungen über die Verwendung seines Leichnams treffen. Und die Ärzte müssen sich daran halten.
Bezüglich der Organentnahme bei Toten fehlt bis heute immer noch eine gesamtschweizerische Lösung. Der Bundesrat hat den Entwurf zu einem eidgenössischen Transplantationsgesetz in die Vernehmlassung geschickt. Das Vernehmlassungsverfahren dauerte bis Ende Februar 2000. Das Transplantationsgesetz soll den Bereich der Transplantationsmedizin erstmals in der ganzen Schweiz einheitlich und umfassend regeln. Bezüglich der Organentnahme bei verstorbenen Personen schlägt der Bundesrat zwei bereits heute praktizierte Modelle zur Diskussion vor. Bis heute hat in der Schweiz jeder Kanton seine eigene Regelung.
- In den meisten Kantonen gilt die Widerspruchslösung (AI, AR, GR, LU, NW, SG, TG, VD, VS, ZH). Nach der Widerspruchslösung ist eine Organentnahme dann erlaubt, wenn die verstorbene Person oder ihre Angehörigen nicht ausdrücklich dagegen protestiert haben.
- Andere Kantone (FR, JU, OW, SO, TI, UR) haben sich für die erweiterte Zustimmungslösung entschieden. Danach ist eine Organentnahme nur dann zulässig, wenn der Spender oder seine Angehörigen ausdrücklich zugestimmt haben.
- In den Kantonen AG, BE, BL, BS, GE und NE gilt die Informationslösung. Der Arzt muss bei der Informationslösung die Angehörigen auf ihre Einsprachemöglichkeit aufmerksam machen. Eine Organentnahme ist deshalb nur dann zulässig, wenn von den Angehörigen kein Widerspruch erfolgt.
Einige kleinere Kantone haben entweder keine gesetzliche Regelung oder keine entsprechende Infrastruktur zur Organentnahme (GL, NW, SH und SZ).
Die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften empfiehlt in ihren Richtlinien zur Transplantation: «Der für einen potenziellen Organspender zuständige Arzt bespricht mit den nächsten Angehörigen die Möglichkeit und die Art einer Organentnahme und erklärt ihnen das Vorgehen. Diese Mitteilung muss auch dann erfolgen, wenn die verstorbene Person ihr Einverständnis zur Organentnahme schriftlich hinterlassen hat.»
Iris Schultheiss