Cornelia Hofmann (Name geändert) war schockiert, als sie auf dem Handy ihres Mannes Fotos seiner Geliebten sah. «Ich zitterte und lief nervös durch die Wohnung», erinnert sie sich. «Wir waren rund 20 Jahre zusammen, deshalb glaubte ich nicht, dass er mich betrügen würde.» Als sie ihren Mann zur Rede stellte, stritt er die Nebenbeziehung ab. Später gab er es doch zu.
Für die damals 36-Jährige hatte der Seitensprung ihres Mannes schwerwiegende Folgen. Sie wurde depressiv und hatte Suizidgedanken: «Wenn nicht die drei Kinder gewesen wären, wäre ich damals am liebsten gegen einen Baum gefahren.» Sie hatte keinen Appetit mehr und nahm stark ab. Wegen Bauchschmerzen musste sie ins Spital. Bis heute muss sie in eine Psychotherapie. Hofmanns Beschwerden sind vergleichbar mit den Folgen eines Traumas: «Ich habe Mühe, an Orte zu gehen, an denen mein Mann und seine Freundin sich getroffen haben.»
Depressionen und Schlafprobleme
Eine Studie der Universität Göttingen (D) mit über 3000 betrogenen Frauen und Männern zeigt: Viele von ihnen leiden unter Depressionen, Schuldgefühlen und Schlafproblemen. Bei den meisten Befragten dauerten die Nebenbeziehungen des Partners mehrere Monate – Treffen für eine Nacht waren eher die Ausnahme. Eine andere deutsche Studie bestätigte 2012, dass einige Betroffene unter Symptomen leiden, die einer posttraumatischen Störung gleichen.
Die Churer Paartherapeutin Christina Casanova kennt das Problem aus ihrer Praxis. Sie erklärt: «Seitensprünge verletzen den Partner, weil sie die Einzigartigkeit der Paarbeziehung in Frage stellen.» Die Betrogenen fühlen sich als austauschbare Personen. Der deutsche Psychologe Christoph Kröger warnt: «Untreue ist das wirksamste Mittel, den Partner loszuwerden.»
Entgegen der oft gehörten Meinung betrügen nicht nur Männer, sondern häufig auch Frauen. Der 64-jährige Franz Holliger (Name geändert) berichtet: «Am Anfang wollte ich tolerant sein. Ich dachte, das renkt sich schon wieder ein», sagt er. «Ich zog mich zurück. Doch das wirkte sich nicht gut auf unsere Beziehung aus.» Als seine Frau bei einem gemeinsamen Besuch bei Freunden lange mit ihrem Liebhaber telefonierte, eskalierte die Situation. Kurz darauf warf Holliger seine Frau aus dem gemeinsamen Haus. «Ich war wütend», sagt er. «Ich wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben.» Unterdessen ist das Paar geschieden. Zwar hat Holliger seiner Frau die Affäre verziehen: «Aber die Anziehungskraft war weg.»
Heute blickt Holliger selbstkritisch auf sein Verhalten als Ehemann zurück: «Ich habe zu viel gearbeitet und mich zu wenig um meine Frau gekümmert.» Sie hätte sich gewünscht, dass er öfters Blumen und Geschenke mitbringe, um ihr seine Zuneigung zu zeigen.
Untreue: Unterschwellige Probleme
Der deutsche Psychologe Dirk Revenstorf hat jetzt ein Buch über Seitensprünge geschrieben. Für ihn ist Untreue ein Zeichen für unterschwellige Probleme einer Paarbeziehung oder eines Partners: Vielleicht habe der untreue Partner in der Aussenbeziehung eine vernachlässigte Seite seiner selbst entdeckt.
Paartherapeutin Casanova sieht das ähnlich: Oft komme es zum Seitensprung, weil ein Paar seine Beziehung zu wenig pflege. Sind Kinder da, nehmen sich laut Casanova viele Paare zu wenig Zeit für einen Abend zu zweit oder für ein romantisches Wochenende: «Das ist gefährlich für die Paarbeziehung. Man fühlt sich nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses.»
Laut Revenstorf zeigt eine Affäre, dass es Zeit ist, die Beziehung zu überdenken und neu zu beleben. Martin Bachmann vom Mannebüro in Zürich rät Betroffenen, den Seitensprung nicht zu dramatisieren, sondern als Gelegenheit zu betrachten, mehr über den Partner zu erfahren: «Viele Männer, die untreu sind, wollen ihre Partnerin nicht verletzen», sagt Bachmann. «Vielleicht sind sie mit dem Paarsex unzufrieden und haben den Mut nicht, mit ihrer Partnerin darüber zu sprechen.» Die Studie der Uni Göttingen bestätigt das: Nur jede fünfte Frau und jeder dritte Mann reden laut den betrogenen Partnern mit ihnen offen über ihre sexuellen Wünsche.
Paartherapeutin Christina Casanova ist überzeugt: Auch nach dem Seitensprung lohnt es sich, als Paar zusammenzubleiben. Denn die Chancen seien gross, dass eine lange Beziehung diesen übersteht: «Wenn man 20 Jahre zusammen ist, hat man eine lange gemeinsame Geschichte mit vielen gemeinsamen Erlebnissen. Das verbindet.»
Paartherapie kann Beziehung retten
Eine Studie von Psychologen der Uni Washington (USA) belegte vor zwei Jahren: Oft hilft eine Paartherapie. Zwar war die Scheidungsrate bei Paaren nach einem Seitensprung mehr als doppelt so hoch wie bei anderen Paaren. Doch die Psychologen kamen zum Schluss: «Untreue muss nicht das Ende der Beziehung bedeuten.» Fünf Jahre nach der Paartherapie waren mehr als die Hälfte der Paare noch verheiratet.
Damit die betrogene Person einen Seitensprung verzeihen kann, genügt es nicht, einen Blumenstrauss oder ein Schmuckstück zu kaufen: «Es ist ein eindrücklicher Liebesbeweis nötig», sagt Casanova. Tipp der Paartherapeutin: Betrogene sollten ihrem Partner mitteilen, was er tun kann, dass sie ihm verzeihen können. So könne der untreue Partner zeigen, dass die Paarbeziehung für ihn wirklich einzigartig ist.
Cornelia Hofmann und ihr Mann entschieden sich für einen Neuanfang. Nachdem die Affäre aufflog, zog der Mann vorübergehend aus und beendete dann die Affäre. Vor einem Jahr zügelte das Ehepaar in einen anderen Kanton. Beide Partner nehmen sich jetzt bewusst mehr Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Und Cornelia Hofmann arbeitet weniger am Wochenende. «Früher gaben wir uns oft die Türklinke in die Hand.» Dennoch ist die Beziehung nicht mehr so harmonisch wie früher: «Wenn er sagt, er müsse länger arbeiten, werde ich misstrauisch.»