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Gesundheitstipp 12/2000
01.12.2000
Dermatologen aus der ganzen Schweiz besprechen die schwierigen Fälle online
Computer mit Internet-Zugang, eine Kamera und ein spezielles Programm. Mehr brauchten Ärzte nicht, um an der grössten Dermatologen-Konferenz der Schweiz teilzunehmen.
Claudia Peter cpeter@puls-tip.ch
Zuerst erschienen nur ein paar rote Pusteln. Doch dann war Sevim Pirdals Ohr plötzlich geschwollen, feuerrot und juckte fürchterlich. Ratlos ging die junge Türkin zu ihrem H...
Dermatologen aus der ganzen Schweiz besprechen die schwierigen Fälle online
Computer mit Internet-Zugang, eine Kamera und ein spezielles Programm. Mehr brauchten Ärzte nicht, um an der grössten Dermatologen-Konferenz der Schweiz teilzunehmen.
Claudia Peter cpeter@puls-tip.ch
Zuerst erschienen nur ein paar rote Pusteln. Doch dann war Sevim Pirdals Ohr plötzlich geschwollen, feuerrot und juckte fürchterlich. Ratlos ging die junge Türkin zu ihrem Hausarzt. Der wusste keinen Rat und überwies die schwangere junge Frau an einen Dermatologen.
Dermatologe Norbert Hilty praktiziert seit acht Jahren im liechtensteinischen Schaan. Aber er war unsicher, als er Sevim Pirdals Ohr sah. Es konnte ein harmloser Ausschlag sein. Aufgrund der Symptome liess sich aber auch eine lebensbedrohliche Erkrankung nicht ausschliessen: Haut-Leukämie.
«Ich wollte sichergehen», erzählt Hilty. «Deshalb entschloss ich mich, die Zürcher Kollegen einzuschalten.» «Einschalten» ist wörtlich gemeint. Norbert Hilty ist einer von 70 Dermatologen in der Schweiz und Liechtenstein, die per Internet mit den Spitälern in Zürich und Basel verbunden sind. Er schickte Bilder von Pirdals Ohr und einer Gewebeprobe über die Datenleitung und bat die Kollegen um ihre Meinung.
Rätsel um Erkrankung dank Kollegen-Hilfe gelöst
Hilty ist froh über die neue Technik. Mit Hilfe seiner Zürcher Kollegen gelang es ihm, festzustellen, was der jungen Sevim Pirdal wirklich fehlt. Sie habe keine Leukämie, teilte er der erleichterten Patientin mit.
Des Rätsels Lösung: Bei einem Picknick hatte eine Zecke die Frau gebissen und so die Erreger der Borreliose-Infektion übertragen. Deswegen hatte sich ihr Ohr entzündet.
Hilty und sein Zürcher Kollege Günter Burg, Direktor der Zürcher Universitäts-Hautklinik, sind sich einig: «Frau Pirdal soll ein paar Tage lang Antibiotika nehmen. Dann wird ihr Ohr wieder normal aussehen.»
An jedem ersten Mittwoch im Monat ist in den Unispitälern in Basel und Zürich Online-Konferenz.
Sechzig Minuten lang können niedergelassene Dermatologen Fotos ihrer Problem-Patienten per Datenleitung auf die Bildschirme der beiden Spitäler schicken. Statt einem sehen meist gut fünfzig Augenpaare die Hautkrankheit. Gleichzeitig können die Spezialisten per Telefonkonferenz mit dem behandelnden Arzt über Diagnose und Therapie diskutieren.
Das System ist vor Eindringlingen geschützt. Niemand erfährt Namen und Wohnort der Patienten. «Die Schweiz ist das einzige Land, in dem so viele Dermatologen die Möglichkeit der Fachkonferenz per Internet nutzen», sagt Professor Burg.
Jeden Monat das Ereignis: Die Online-Diagnosen
In seiner Abteilung ist die Konferenz das Top-Ereignis des Monats. Trotz der Mittagszeit ist der Vortragssaal bis auf den letzten Platz mit Ärzten und Praktikanten gefüllt. Alle starren wie gebannt auf die Leinwand. Langsam zeichnen sich dort jetzt die Umrisse eines kleinen Zehennagels ab. Er gehört einem vierjährigen Zürcher Buben, ist dunkel verfärbt und vielfach eingekerbt.
Professor Fredy Eichmann vom Dermatologischen Ambulatorium des Stadtspitals Triemli reagiert sofort, als er das Bild sieht. «Das ist die so genannte Baran-Krankheit», tönt es aus dem Lautsprecher. «Sie ist nicht gefährlich, aber ihr solltet schnell operieren. Je jünger der Patient ist, desto besser sind die Heilungsaussichten.» Eichmann hat im Gegensatz zu den Kollegen vom Uni-Spital diese Operation schon durchgeführt. «Könntest du nicht mal bei uns ein Operations-Gastspiel geben?», fragt ihn Burg. Gerade will Eichmann die Operationsmethode erklären, als das Bild verschwindet - Netz-Zusammenbruch.
Erst seit wenigen Jahren kann man per Datenleitungen auch grössere Bilder schnell übermitteln und scharf wiedergeben. «Das ist die Voraussetzung für eine zuverlässige Online-Diagnose. Speziell in einem so bildabhängigen Fachgebiet wie der Dermatologie», erklärt Burg.
Manchmal spielt die Technik den Ärzten zwar einen Streich. Dennoch ist Burg überzeugt, dass sie sich durchsetzen wird. «Kamera und Software kosten die Ärzte nur 5000 Franken. Und die Patienten müssen nicht mehr in die Stadt reisen, wenn es eine zweite Meinung braucht.»