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Gesundheitstipp 8/2000
01.08.2000
Neue Rheuma-Mittel: So machen Schweizer Forscher Reklame
Mehrere Forscher haben sich für eine Werbekampagne des Pharmakonzerns MSD einspannen lassen. Kritiker warnen: Solche Verflechtungen können dazu führen, dass Risiken eines Medikaments unerwähnt bleiben.
Das Fax erreichte Redaktionen in der ganzen Schweiz: Der Anästhesist Martin Tramèr vom Unispital Genf hatte in Grossbritannien untersucht, wie schädlich herkömmliche Rheuma-Mittel sein können. Etwa 2000...
Neue Rheuma-Mittel: So machen Schweizer Forscher Reklame
Mehrere Forscher haben sich für eine Werbekampagne des Pharmakonzerns MSD einspannen lassen. Kritiker warnen: Solche Verflechtungen können dazu führen, dass Risiken eines Medikaments unerwähnt bleiben.
Das Fax erreichte Redaktionen in der ganzen Schweiz: Der Anästhesist Martin Tramèr vom Unispital Genf hatte in Grossbritannien untersucht, wie schädlich herkömmliche Rheuma-Mittel sein können. Etwa 2000 Menschen pro Jahr, so schätzte er, sterben dort an Magengeschwüren, nachdem sie Medikamente wie Voltaren oder Brufen eingenommen hatten.
Auf Einladung des Pharmakonzerns MSD stellten Tramèr und seine britischen Co-Autoren ihre Ergebnisse bei einer Pressekonferenz in London vor - und empfahlen als Alternative die neuen COX-2-Hemmer. Sie sollen gegen rheumatische Entzündungen ebenso wirksam sein wie herkömmliche Mittel, den Magen aber gleichzeitig vor Geschwüren schützen. Potenzielle Nebenwirkungen der Medikamente (siehe Puls-Tip 6-7/00) kamen in London nicht zur Sprache. Kein Zufall: Das wichtigste Produkt von MSD ist der COX-2-Hemmer Vioxx.
Tramèr will dazu nicht Stellung nehmen. Seine Studie enthält keinerlei nachprüfbare Daten über COX-2-Hemmer. Dennoch diente sie auf mehreren Presseseminaren, die MSD von April bis Juli in der ganzen Schweiz abhielt, als Beleg für die Überlegenheit dieser Produkte.
In Zürich referierten prominente Wissenschaftler: Michael Fried, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie, und Beat Michel, Direktor der Rheumaklinik am Unispital. Beide gaben zu Protokoll, dass sie zuweilen auch für die Firma Pfizer tätig sind, die das COX-2-Konkurrenzmittel Celebrex herstellt. Er mache das, weil er diese Medikamente für einen wichtigen Fortschritt halte, erklärte Professor Beat Michel.
Neue Studie: Von Pfizer mitfinanziert
Professor Michael Fried bereitet gerade eine Studie vor. Er will den Ursachen von diffusen Magenbeschwerden auf die Spur kommen, die auch bei Celebrex und Vioxx auftreten. Das Thema hat er Pfizer selbst vorgeschlagen. Pfizer bezahle nur die Sach- und Personalkosten der Studien, erklärte Fried.
Er sei überzeugt, dass das Geld der Pillen-Produzenten keinen Einfluss auf die Ergebnisse der Studien habe. «Ich interpretiere die Daten, aber ich habe kein Interesse, sie zu beschönigen», sagt er.
Der Pharma-Experte Etzel Gysling sieht dagegen Probleme: «Wenn ich für eine Studie Geld vom Hersteller bekomme, ob nun selbst oder für mein Institut, dann bin ich voreingenommen.» Ausserdem habe die Schweiz in jedem Spezialgebiet nur relativ wenige Experten. Deshalb sei es auch unvermeidlich, dass diese meistens an Studien beteiligt seien, die von Pharmafirmen gesponsert sind. «Die Industrie ist aber nur an positiven Aspekten eines Medikaments interessiert», so Gysling.
Unabhängige Forscher sind meist kritischer
Ein Artikel in der Zeitschrift der Amerikanischen Ärztegesellschaft unterstreicht dies. Die Autoren verglichen unabhängige Studien mit industrie-finanzierten. Resultat: 38 Prozent der unabhängigen Studien kamen zu negativen Schlüssen. Bei den industrie-finanzierten waren es nur 5 Prozent.
Marcia Angell vom Fachblatt «New England Journal of Medicine» hat beobachtet, dass Ärzte bei diesem Thema schnell gekränkt sind und sich in ihrer Berufsehre verletzt fühlen. Sie glaube aber nicht, dass die Forscher absichtlich Daten fälschen. Sie sieht vielmehr eine Gefahr in der gemütlichen Atmosphäre gegenseitigen Wohlwollens, die bei einer ständigen Zusammenarbeit entstehe. Sie könne unterschwellig das Urteil der Wissenschaftler beeinflussen.
MSD wollte diese Probleme nicht kommentieren. Für den US-Pharmakonzern ist jede positive Nachricht über Vioxx bares Geld. Laut dem Börsen-Fachblatt «Wall Street Journal» hängt der Aktienkurs von MSD in den nächsten Jahren allein davon ab, ob der Verkaufserfolg von Vioxx anhält.
Etzel Gysling fordert klare Regeln, welche Art der Zusammenarbeit zwischen Pharmakonzernen und Forschern zulässig sein soll und welche nicht. Aufstellen sollte diese Regeln am besten eine übergeordnete Organisation wie die Akademie der Medizinischen Wissenschaften oder die Ärztevereinigung FMH.
Für sich selbst hat Gysling die Grenzen klar gezogen: «Ich würde nicht an einer Veranstaltung teilnehmen, die definitiv der Werbung für ein bestimmtes Produkt dient.»
Claudia Peter