Gastkolumne von Roger Graf, Krimiautor - Was isst ein Schriftsteller?
Inhalt
Haus & Garten 1/2000
01.01.2000
Es gibt nur wenige Schriftsteller, die durch Kochrezepte berühmt wurden. Johannes Mario Simmel schaffte das mit seinem Buch "Es muss nicht immer Kaviar sein". In anderen Romanen wird zwar auch gegessen, noch viel öfter aber getrunken, fremdgegangen, gemordet, geliebt oder gelogen. In Kriminalromanen kann der Essensvorgang dazu dienen, einen Giftmord zu inszenieren, auch wenn dies ein wenig aus der Mode gekommen ist. Und natürlich können Tischsitten etwas über die Figuren und deren Umfeld au...
Es gibt nur wenige Schriftsteller, die durch Kochrezepte berühmt wurden. Johannes Mario Simmel schaffte das mit seinem Buch "Es muss nicht immer Kaviar sein". In anderen Romanen wird zwar auch gegessen, noch viel öfter aber getrunken, fremdgegangen, gemordet, geliebt oder gelogen. In Kriminalromanen kann der Essensvorgang dazu dienen, einen Giftmord zu inszenieren, auch wenn dies ein wenig aus der Mode gekommen ist. Und natürlich können Tischsitten etwas über die Figuren und deren Umfeld aussagen. Ein Roman, in dem vornehmlich ein McDonald's frequentiert wird, ist mit Sicherheit mit anderem Personal ausgestattet als ein Buch, in dem bei weniger als vier Gängen niemand die Gabel in die Hand nimmt.
Schriftsteller, so möchte man meinen, müssen weder gut kochen können noch über einen ausgewiesenen Feinschmeckergaumen verfügen, um gute Bücher schreiben zu können. Und trotzdem werden in bunten Illustrierten immer wieder Schriftsteller und deren Lieblingsmenüs vorgestellt. Meist wird in einem Nebensatz oder einem kleinen Kästchen erwähnt, was der Schriftsteller oder die Schriftstellerin für Bücher schreibt, wenn nicht gerade gekocht wird am heimischen Herd.
Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf den Smalltalk, den bekanntlich vor allem Menschen pflegen, die gerne reden, ohne dass sie dabei etwas wirklich Relevantes zu sagen hätten. Wurde früher an geeigneten Orten (Vernissagen, Theaterpremieren, Geburtstagspartys oder im lokalen Sadomaso-Club) über Bücher diskutiert, so haben sich das Interesse und das Wissen eindeutig ins Kulinarische verlagert.
Ein solcher Smalltalk könnte sich heute wie folgt abspielen:
Hast du den neuen Graf schon gelesen?
Nein, aber ich habe gehört, dass er gerne Risotto kocht.
Der neue Markus Werner soll ganz toll sein.
Markus Werner mag lieber Teigwaren.
Kocht der Muschg eigentlich so, wie er schreibt?
Die Zoë Jenny hat ein ganz tolles Rezept mit Birnen.
Hat die Milena Moser ihre Pizzaphase endlich hinter sich?
Nun ist es bei Smalltalks üblich, dass sich Leute über Dinge unterhalten, von denen sie keine Ahnung haben. Interessant ist lediglich, dass früher über Bücher geredet wurde (die niemand gelesen hatte), um die eigene Befindlichkeit auszudrücken. Heute dienen Bücher lediglich noch dazu, deren Verfasser so bekannt zu machen, dass es sich lohnt, sie in einer Illustrierten nach ihrem Lieblingsrezept zu fragen.
Indem kenntlich gemacht wird, dass ein Schriftsteller Ghackets mit Hörnli mag und eine Schriftstellerin mit Meeresfrüchten nicht viel anfangen kann, wird der Leserschaft deutlich gemacht, dass im Prinzip jeder, der Ghackets mit Hörnli mag, auch ein Buch schreiben könnte und die Abscheu vor Meeresfrüchten kein Hindernis ist, um die Bestsellerlisten zu stürmen. Noch warte ich auf den hoffnungsvollen Jungautor, der mich anruft und fragt, was er kochen müsse, um eine erfolgreiche Hörspielserie schreiben zu können, aber ich bin sicher, der Tag wird kommen.
Buchhändler sollten sich Gedanken darüber machen, ob es noch adäquat ist, Bücher nach inhaltlichen oder alphabetischen Kriterien zu ordnen. Wäre es nicht viel angebrachter, der geneigten Leserschaft den Einstieg zu erleichtern, indem Regale mit Stichworten wie "Isst biologisch", Mag Lammgigot" oder Ist Vegetarier" versehen werden, damit die verschiedenen Interessengebiete künftig besser getrennt werden? Denn was hilft es einem ratlosen Leser vor einem Regal voller Krimis zu stehen, wenn er nach einem Buch sucht, dessen Autor gerne Broccoli isst? Bereits eine einfache Aufteilung in "Kann kochen" und "Kann nicht kochen" macht die Suche nach dem richtigen Lesestoff einfacher. Denn wer möchte schon das Buch eines jungen literarischen Talentes lesen, um dann im Nachhinein aus einer Illustrierten zu erfahren, dass dieses Talent nicht kochen kann?
Verlage sollten dazu übergehen, die Klappentexte neu zu überdenken. Interessiert es heute noch, dass ein Autor als Briefträger, Leichenwäscher, Gemeindepräsident und Strichjunge gearbeitet hat, bevor er ein Buch schrieb? Sollte stattdessen nicht das aktuelle Lieblingsrezept oder zumindest ein Dessertvorschlag auf dem Klappentext erwähnt werden?
Zwar werde ich an Lesungen noch erstaunlich oft über meine Arbeit und meine Bücher befragt, aber das neu entdeckte Interesse an den kulinarischen Gepflogenheiten heimischer Literaten wird früher oder später dazu führen, dass die von allen Schriftstellern weltweit am meisten gefürchtete Frage "Wieso schreiben Sie?" schon bald abgelöst wird durch die Frage "Wieso essen Sie?.
Roger Graf (41) lebt in Zürich und gilt neben Peter Zeindler als einer der wenigen Schweizer Krimiautoren von internationalem Format.
Bekannt geworden ist Graf vor allem durch seine Hörspielserie «Die haarsträubenden Fälle des Philip Maloney» (jeweils Sonntagmorgen auf DRS 3). In Buchform sind von ihm u.a. erschienen: «Tödliche Gewissheit», «Zürich bei Nacht», «Tanz an der Limmat» und «Kurzer Abgang».