Lebensmittelallergien - Lebensbedrohliche Nahrung
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saldo 4/2001
28.02.2001
Das Zürcher Kantonslabor fand in jeder dritten Probe versteckte Erdnussbestandteile - die für Allergiker fatale Folgen haben können. Künftig müssen die Hersteller klarer deklarieren.
Auch in der Schweiz leiden immer mehr Personen an Nahrungsmittelallergien. Besonders stark angestiegen ist in den letzten Jahren die Zahl derjenigen, die auf Erdnüsse allergisch sind. Brunello Wüthrich, leitender Arzt an der Allergiestation des Unispitals Zürich, kennt die alarmierenden Zahlen...
Das Zürcher Kantonslabor fand in jeder dritten Probe versteckte Erdnussbestandteile - die für Allergiker fatale Folgen haben können. Künftig müssen die Hersteller klarer deklarieren.
Auch in der Schweiz leiden immer mehr Personen an Nahrungsmittelallergien. Besonders stark angestiegen ist in den letzten Jahren die Zahl derjenigen, die auf Erdnüsse allergisch sind. Brunello Wüthrich, leitender Arzt an der Allergiestation des Unispitals Zürich, kennt die alarmierenden Zahlen: Zwischen 1978 und 1987 reagierten 1,5 Prozent der behandelten Nahrungsmittelallergiker auf Erdnüsse. Zwischen 1990 und 1994 waren es bereits 12,8 Prozent. Das sind 400 Patientinnen und Patienten.
Häufig keine Deklaration auf der Verpackung
Das Problem: Erdnussallergene sind besonders aggressiv, schon kleinste Mengen können fatale Folgen haben. Beispielsweise für Martin Däscher aus Winterthur. Nachdem er in einem Thai-Restaurant eine Sauce mit Erdnussbestandteilen gegessen hatte, brach sein Kreislauf kurzfristig zusammen.
Heimtückisch sind Erdnüsse für Allergiker, weil sie häufig in Nahrungsmitteln vorkommen, obwohl sie auf Verpackungen nicht deklariert sind.
Dies belegt eine aktuelle Analyse des Zürcher Kantonslabors. Im vergangenen Dezember untersuchte es 50 Produkte auf versteckte Erdnussbestandteile: Kekse, Schokoladen, Getreideriegel und Apérogebäck. In 16 Proben wies Laborleiter Georg Schäppi undeklarierte Erdnüsse nach - zwischen einem und über zehn Gramm pro Kilo. Diese Mengen sind für einen starken Allergiker bereits lebensbedrohlich.
Schäppi bestätigt, dass alle grossen Produzenten nicht sauber deklariert haben. Sie erhalten in diesen Tagen eine Beanstandung: Künftig müssen sie in ihren Produkten den versteckten Erdnussanteil unter ein Promille senken. Ansonsten droht den Herstellern eine Anzeige wegen Verstosses gegen das Lebensmittelgesetz.
Für Zürcher Kantonschemiker Rolf Etter ist klar: "Wir wollen die Verunreinigung der Nahrungsmittel mit Erdnüssen auf ein erträgliches Mass runterbringen - auch für Allergiker. Das heisst, höchstens ein Gramm pro Kilo." Eine Deklaration wie "kann Erdnuss enthalten" hält Etter für unsinnig. Damit könnten nur Nachlässigkeiten bei der Produktion kaschiert werden. Fachleute fordern nun eine klare Deklaration aller Nahrungsmittelbestandteile. Besonders wichtig für Betroffene ist laut Wüthrich die Deklaration von Erdnuss, Soja, Sulfiden, Fisch oder Milch.
Mehr Sorgfalt bei der Produktion gefordert
Die Nahrungsmittelproduzenten sind gefordert. Reto Battaglia, Direktor des Lebensmittellabors SQTS, weist darauf hin, dass das Bewusstsein für allergene Fremdstoffe in Lebensmitteln in der Schweiz erst am Wachsen sei. Doch das schlechte Testergebnis erstaunt auch ihn: "Man ist sich offenbar bei der Herstellung nicht bis an alle Enden bewusst, dass unter keinen Umständen Erdnüsse von einem Produkt ins nächste gelangen dürfen."
Hersteller halten Investitionen für unbezahlbar
Völlig erdnussfreie Produkte halten die Hersteller jedoch für unbezahlbar. Sie sträuben sich gegen Investitionen für getrennte Produktionsstandorte. Chocolat Frey etwa schätzt die Kosten für solche Aufwendungen auf mehrere Millionen Franken. Pommes-Chips-Spezialist Zweifel befürchtet gar, sein Sortiment einschränken zu müssen. Hersteller monieren zudem, dass es eine hundertprozentige Garantie für erdnussfreie Produkte trotz strengster Vorsichtsmassnahmen nicht gebe. Einige Produzenten wollen jetzt reagieren. Chocolat Frey AG deklariert jedoch nur "kann Spuren von Nüssen enthalten". Der Biscuit- und Apérogebäck-Hersteller Midor versichert: Im Zweifelsfall werde man deklarieren.
Erdnussallergiker müssen somit verdächtige Produkte wie Apérogebäck, Schokolade oder Kekse noch immer meiden und für den Notfall die lebensrettende Adrenalinspritze in Reichweite halten. Sie werden dem Risiko noch immer ausgesetzt.
Daniel Müller
Selbsthilfe - Plattform für Allergiker auf dem Internet
Der Winterthurer Martin Däscher, Biotechnologe und selber hochgradig auf Erdnüsse allergisch, will den Informationsaustausch unter Allergikern fördern. In Kanada haben sich Betroffene so selbst ein Warnsystem aufgebaut, das über gefährliche Produkte informiert. Däscher will auf seiner Internetseite www.foodhelp.org eine Plattform aufbauen, auf der Betroffene ihre Erfahrungen mit bestimmten Lebensmitteln austauschen können. Auf Grund solcher Hinweise werden in Kanada jährlich mehrere Produkte von den Herstellern zurückgerufen, weil sie für Allergiker gefährliche Vermischungen aufweisen. Für die Betroffenen in der Schweiz ist das vorerst noch Zukunftsmusik.