Männer kommen zu früh, Frauen gar nicht
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saldo 13/2002
28.08.2002
Fast die Hälfte aller Männer leidet zumindest zeitweise an vorzeitigem Samenerguss. Und viele Frauen kommen nur mit Mühe oder gar nicht zum Orgasmus.
Früher kam ich brutal schnell», erinnert sich Andi, 38. «Kaum war der Gummi drüber, hab ich schon abgespritzt.» Auch seine Freundin Dana hatte mit dem Sex ihr Problem: «Ich hatte früher nie einen Orgasmus, auch nicht in meiner achtjährigen Beziehung.» Ihm sei aufgefallen, sagt Andi, dass selbst heute noch, wenn er das The...
Fast die Hälfte aller Männer leidet zumindest zeitweise an vorzeitigem Samenerguss. Und viele Frauen kommen nur mit Mühe oder gar nicht zum Orgasmus.
Früher kam ich brutal schnell», erinnert sich Andi, 38. «Kaum war der Gummi drüber, hab ich schon abgespritzt.» Auch seine Freundin Dana hatte mit dem Sex ihr Problem: «Ich hatte früher nie einen Orgasmus, auch nicht in meiner achtjährigen Beziehung.» Ihm sei aufgefallen, sagt Andi, dass selbst heute noch, wenn er das Thema anspreche, kaum jemand da sei, «der offen über solche Sachen redet».
Erstaunlich. Denn spätestens seit Oswald Kolles Aufklärungsfilmen und Beate Uhses Vertrieb von Lustartikeln Anfang der 70er-Jahre gilt die heutige Gesellschaft als sexuell befreit. An nackte Pobacken im String-Bikinihöschen und an freizügige Bettszenen selbst im Vorabendprogramm haben sich Jung und Alt und auch Kinder längst gewöhnt.
Wer Sexprobleme anspricht, stösst auf Schweigen
Die Realität des Einzelnen aber sieht oft anders aus. Kaum bringt jemand die Sprache auf Schwierigkeiten im Intimbereich, erntet er Spott, selbst im engen Freundeskreis. Und das im besten Fall; im schlechteren stösst, wer sich mit seinen Bettproblemen outet, auf eine Mauer peinlich berührten Schweigens.
«Ich höre immer nur, wie geil alle sind und wie super drauf im Bett», beschreibt Andi seine Erfahrungen. Klar, denn Potenz ist angesagt, Stärke und Erfolg. Wers da nicht bringt, gilt als Versager. Die heutige Zeit kennt nach wie vor kein grösseres Tabu als Sexprobleme.
Schade. Denn wer darüber redet, mit einem Arzt oder mit seinem besten Freund, merkt bald: Er ist umgeben von Leidensgenossen. Vor allem Männer tun sich schwer, weiss Roberto Casella, Urologe am Kantonsspital Basel: In der Regel dauere es zwei Jahre, bis ein Mann wegen sexuellen Problemen den Arzt aufsuche. Wer seinen Penis nicht unter Kontrolle halten kann, fühlt sich schnell minderwertig als Mann. Dass er seine Partnerin auch mit der Zunge oder den Fingern befriedigen kann, ist da kein Trost.
Die Ursache für zu schnelles Kommen liegt oft in einem tiefer liegenden Problem. Der Sexualtherapeut Ernst Frei: «Ein eher zufälliger, wiederholter schneller Samenerguss führt schnell zu einer inneren Spannung. Verunsicherung und Versagensangst begleiten den Betroffenen. Dieser Stress führt zu weiterem "Versagen". Ein solcher Teufelskreis kann dann zu einem bleibenden schnellen Samenerguss führen.» Oft kommen, so Frei, Beziehungsprobleme, Angst vor emotionaler Nähe und Leistungsdruck hinzu. Wer sich einer therapeutischen Behandlung stellt, «hat gute Aussichten, sein Problem in den Griff zu bekommen».
Jede Frau ist fähig, einen Orgasmus zu erleben
Frauen, die beim Sex mit ihrem Partner keinen Orgasmus haben, verlieren oft die Freude am Liebesspiel. Die Folge: Sie schlafen immer weniger mit ihrem Partner, bis irgendwann der Sex ganz ausbleibt. Das muss nicht sein. Denn, so die Sexualtherapeutin Elisabeth Wirz, «jede Frau ist orgasmusfähig». Es gebe allerdings keine allgemein gültigen Beischlafregeln. «Erlaubt ist, was gefällt, und gut ist, was für beide stimmt.» Jeder Mensch, und das gelte für Frauen wie Männer, «ist für sich selber verantwortlich». Darauf zu warten, so Wirz, dass der Märchenprinz komme und es dann schon richtig mache, funktioniere nicht. Jede Frau muss für sich selber herausfinden, was sie stimuliert und was sie braucht, um befriedigenden Sex zu haben. Natürlich gilt es dann, diese Bedürfnisse dem Partner, der Partnerin mitzuteilen.
Dana und Andi haben beide vor Jahren schon ihr Problem gelöst. «Ich habe irgendwann angefangen, an mir herumzuexperimentieren», erinnert sich Dana. Dabei habe sie gemerkt, dass sie durchaus orgasmusfähig sei. «Seitdem helfe ich selber nach. Ich stimuliere einfach meine Klitoris, auch wenn ich mit Andi schlafe, und so komme ich immer zum Orgasmus.» Und Andi hat «irgendwann rausgefunden, dass ich da selber was machen kann». Er trainierte jeweils fünf- bis zehnmal, bis kurz vor den Punkt des Samenergusses zu kommen. Mit gutem Resultat: «Heute ist zu frühes Abspritzen für mich kein Thema mehr.»
Lilo Wicki
Therapie für Männer
Ursache für zu frühen Samenerguss ist in den meisten Fällen ein tiefer liegendes psychisches Problem. Leidet der Mann und die Beziehung stark darunter, so ist eine Sexualtherapie bei einem Paar- oder Sexualtherapeuten zu empfehlen. Sinnvoll und hilfreich ist auch die Start-und-Stopp-Methode: Der Mann hört beim Masturbieren oder Verkehr kurz vor dem Abspritzen auf, lässt die höchste Erregung etwas abklingen und wiederholt den Vorgang. Sinnvoll ist diese Technik als Teil einer Therapie, zu der auch Entspannungstechniken gehören. Reine Symptombekämpfung ist der Gebrauch einer anästhesierenden Salbe: 20 bis 30 Minuten vor dem Verkehr auf die Eichel auftragen, die Eichel wird dadurch weniger empfindlich, und die Zeitspanne bis zum Samenerguss verlängert sich, weiss der Urologe Roberto Casella.
Zilbergeld, Bernie: Die neue Sexualität der Männer, DGVT, Tübingen 2000. Fr. 39.-
Hilfe bei Orgasmusproblemen der Frauen
Das sind die häufigsten Probleme der Frau mit dem Orgasmus:
Zu schnell vorbei: Noch ehe sie richtig warm gelaufen ist, ist für ihren Partner alles vorbei.
Angst, Scham: Sie traut sich nicht, ihrem Partner zu sagen, was für sie gut ist, aus Angst, er liebe sie dann nicht mehr.
Leistungsdruck: Fast alle Frauen haben schon einmal einen Orgasmus vorgetäuscht, damit der Mann glaubt, er sei ein guter Lover.
Wegdriften: Sie kann sich während des Verkehrs nicht konzentrieren.
Zielorientiert: Sie denkt an den «Orgasmuss», statt im Moment die Lust zu leben.
Wer Probleme mit dem Orgasmus hat und sich selber nicht zu helfen weiss, wendet sich am besten an eine Frauenärztin, eine Sexualtherapeutin oder an ein regionales Frauenspital.
Nicht alle Frauen kommen beim Eindringen des Penis zum Orgasmus. Viele brauchen dazu eine Stimulation der Klitoris oder des G-Punkts, einer Zone nach dem Scheideneingang, die sehr sensibel ist.
Bei vielen Frauen zeigen auch Hilfsmittel wie Dildo, Massagestab, Gleitcreme oder -öl gute Wirkung.