Multiple Sklerose - Lähmungen und Doppelbilder schon im Kindesalter
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saldo 8/2000
26.04.2000
Die unberechenbare Krankheit multiple Sklerose macht Severins Leben zur Qual. Er gehört zu den wenigen, die schon als Kind erkranken.
Severin Monnier spielt gern Fussball und Eishockey. Im Nintendo-Spiel ist er fast unschlagbar. Doch vor einem Jahr hatte der 9-Jährige plötzlich keine Kraft mehr in der Hand. Einen Tag später begann er ein Bein nachzuziehen und sah alles doppelt. Auf dem Weg in die Notfallstation des Berner Inselspitals befürchteten die Eltern das Schlimmste: H...
Die unberechenbare Krankheit multiple Sklerose macht Severins Leben zur Qual. Er gehört zu den wenigen, die schon als Kind erkranken.
Severin Monnier spielt gern Fussball und Eishockey. Im Nintendo-Spiel ist er fast unschlagbar. Doch vor einem Jahr hatte der 9-Jährige plötzlich keine Kraft mehr in der Hand. Einen Tag später begann er ein Bein nachzuziehen und sah alles doppelt. Auf dem Weg in die Notfallstation des Berner Inselspitals befürchteten die Eltern das Schlimmste: Hirntumor oder Hirnblutung. Im Magnetresonanz-Tomogramm (MRT) zeigten sich im Hirn des Zweitklässlers weisse Flecken, Zeichen der multiplen Sklerose (MS). Die Diagnose war ein Schock: "Mir hat es buchstäblich die Luft genommen. Ich dachte, es kann und darf nicht sein", erinnert sich Micheline Monnier, Severins Mutter.
In der Schweiz gibt es rund 10 000 MS-Betroffene. Die Krankheit beginnt in der Regel zwischen 20 und 40, in 3 bis 5 Prozent der Fälle aber schon im Kindesalter. MS ist eine entzündliche Erkrankung von Hirn und Rückenmark. Dabei werden an verschiedenen Stellen die Nervenhüllen zerstört. Folge: Die Nervenleitung wird zuerst verlangsamt, später unterbrochen.
Zu den häufigsten Symptomen im Anfangsstadium gehören Sehstörungen, Müdigkeit, Muskelschwäche, Koordinationsstörungen oder Störungen der Blasenfunktion. MS gilt als so genannte Autoimmunerkrankung. Dabei richtet sich das Abwehrsystem gegen den eigenen Körper. Weshalb, ist unklar.
MS-Kranke werden oft als Simulanten hingestellt
Die Krankheit ist unberechenbar. Mal fühlt sich Severin gesund, kurze Zeit später kann er kaum gehen oder die Blase kontrollieren. Ein grosses Problem ist die verminderte Konzentration und starke Müdigkeit. "Die unsichtbaren Symptome sind für MS-Kranke sehr belastend, sie werden oft als Simulanten hingestellt", erklärt Silvano Vella, Kinderneurologe am Berner Inselspital.
Jeden zweiten Tag spritzt Micheline Monnier ihrem Sohn eine Dosis Interferon der Sorte Beta 1b. Gemäss Studien bei erwachsenen MS-Kranken konnte die Interferon-Therapie die Häufigkeit der Schübe um durchschnittlich ein Drittel reduzieren und das Fortschreiten der Krankheit teilweise aufhalten. Doch wie der 9-jährige Severin darauf ansprechen wird, weiss niemand.
"Wir haben leider wenig Erfahrung mit der Interferon-Therapie bei Kindern", sagt Silvano Vella, "doch für Severin ist es eine Chance, die chronische Krankheit in den Griff zu bekommen." Nur zwei Kinder auf der ganzen Welt erhalten momentan diese Therapie. Andere Medikamente zur Unterdrückung der Entzündung - bei der MS sind dies in der Regel Cortisonpräparate - sollte ein Kind nicht über längere Zeit einnehmen.
Urs Sloksnath