Schleudertrauma - Beim Coiffeur geht das Kopfweh weg
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Gesundheitstipp 1/2002
01.01.2002
Durchblutungs-Therapie gegen Haarausfall hilft auch Schleudertrauma-Patienten
Der Zürcher Arzt Hansjürg Holdener schickt Patienten mit Schleudertrauma zum Coiffeur. Nicht für einen neuen Haarschnitt, sondern zur Therapie. Das Rigenera-Verfahren, erfunden gegen Haarausfall, kann die chronischen Kopfschmerzen lindern.
Claudia Peter cpeter@pulstipp.ch
Sybill Gallati greift nach jedem Strohhalm. Zwei Unfälle im Abstand von anderthalb Jahren haben ihre...
Durchblutungs-Therapie gegen Haarausfall hilft auch Schleudertrauma-Patienten
Der Zürcher Arzt Hansjürg Holdener schickt Patienten mit Schleudertrauma zum Coiffeur. Nicht für einen neuen Haarschnitt, sondern zur Therapie. Das Rigenera-Verfahren, erfunden gegen Haarausfall, kann die chronischen Kopfschmerzen lindern.
Claudia Peter cpeter@pulstipp.ch
Sybill Gallati greift nach jedem Strohhalm. Zwei Unfälle im Abstand von anderthalb Jahren haben ihre Wirbelsäule ruiniert (siehe Puls-Tipp 2/2001). Mit zwei verschobenen Wirbeln und einem Schleudertrauma, das in Kopf und Arme ausstrahlte, geht sie zum Zürcher Spezialarzt Hansjürg Holdener. Ohne starke Schmerztabletten ist für die heute 22-Jährige «an Arbeit nicht zu denken».
Der Schleudertrauma-Spezialist macht seiner Patientin einen ungewöhnlichen Vorschlag. Er will sie zum Coiffeur schicken: «Ich kenne einen Coiffeur, der eine spezielle Durchblutungstherapie anbietet», sagt er. Ob sie das ausprobieren wolle? Viel Hoffnung machen möchte der Arzt seiner Patientin nicht. «Es ist ein Versuch - mehr nicht», warnt er. «Es kann vielleicht Erfolg haben, aber nur als Teil einer umfassenden Therapie.» Doch Sybill Gallati ist bereit. «Das ist immerhin etwas Neues», meint sie.
Der Name der ungewöhnlichen Therapie: Rigenera. Coiffeur Serge T. Ulrich brachte sie in die Schweiz. Das Prinzip: Saugnäpfe fördern die Durchblutung der Kopfhaut. Dadurch sollten die Haare kahler Kunden wieder wachsen. Die Ergebnisse überzeugten Ulrich. Er übernahm die italienische Erfindung in seinen Salon, den er seit 30 Jahren führt. Ein Berufskollege erzählte ihm beiläufig beim Mittagessen: «Rigenera hilft auch bei Kopfschmerzen.»
Die Bemerkung fiel ihm erst wieder ein, als Zofia Balczarczyk, die Leiterin seines Rigenera-Zentrums im Coiffeursalon, über bohrende Schleudertrauma-Kopfschmerzen klagte. Sein Vorschlag: «Setz dich doch mal unter die Saugnäpfe.» Und siehe da: Es funktionierte. «Nach zehn Sitzungen waren meine Schmerzen weg», erinnert sich Zofia heute.
Bei seinem nächsten Coiffeurtermin erzählte sie Hansjürg Holdener voller Freude von ihrem Erfolg. Der Schleudertrauma-Experte wurde hellhörig und begann das Gerät gründlich zu testen. Das Prinzip leuchtete ihm ein: «Rigenera erhöht die lokale Durchblutung um das Zehnfache», erklärt er. «Daran liegt es vermutlich, dass die typischen Schleudertrauma-Beschwerden wie Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen oder depressive Verstimmungen nachlassen oder gar ganz verschwinden.» Holdener steht noch am Anfang seiner Forschungen. Deshalb kann er nicht genau erklären, weshalb das Gerät die Schmerzen vertreibt.
90 Minuten systematisch durchgeknetet
Sybill Gallati empfand ihre erste Begegnung mit Rigenera als «nicht besonders angenehm». Zofia Balczarczyk fixierte die Saugnäpfe an ihrer Kopfhaut und am Nacken. Dann schaltete sie das computergesteuerte Messgerät ein. «Als Erstes gab es ein unangenehmes Ziehen an der Kopfhaut», berichtet Gallati. Nach einigen Sekunden liess es nach, doch dann begann es wieder.
90 Minuten lang sass sie unter den Saugnäpfen, die Kopf und Nacken systematisch durchkneteten. «Die ersten Sitzungen taten weh», erinnert sie sich. «Doch bald spürte ich mehr Energie und die Schmerzen gingen langsam, aber deutlich zurück.» Heute hat die junge Glarnerin nur noch sporadisch Kopfschmerzen, wenn sie sich überanstrengt.
Sybill Gallati ist bereit, dafür auch finanzielle Opfer zu bringen. Denn eine Rigenera-Sitzung kostet 120 Franken, die vollständige Therapie mehr als 2400 Franken. Die Krankenkassen bezahlen nicht.
Heute spielt Rigenera eine wichtige Rolle in dem Behandlungskonzept, das Hansjürg Holdener für Schleudertrauma-Opfer entwickelt hat. Jeden seiner Fälle bespricht der Arzt mit den Mitgliedern des von ihm gegründeten Qualitätszirkels. Es ist bislang die einzige derartige Gruppe in der Schweiz. Dazu zählen Chiropraktoren, Orthopäden und Physiotherapeuten sowie eine Psychologin und ein Rechtsanwalt.
Längst nicht alle Patienten schickt die Gruppe unter die Saugnäpfe: «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Rigenera dann am besten wirkt, wenn bei den Patienten Ermüdung, Kopf- und Nackenschmerzen sowie psychische Probleme im Vordergrund stehen», sagt Holdener. Im Rahmen einer Studie beobachten die Experten den weiteren Krankheitsverlauf bei den Rigenera-Patienten. «In zwei Jahren können wir genaue wissenschaftliche Erkenntnisse herausfiltern», hofft Holdener.
Meinungen von Experten gehen auseinander
Seine Therapie ist selbst in Expertenkreisen noch völlig unbekannt. «Ich habe noch nie davon gehört», sagt der Zürcher Neurologe Erich Riederer. Er räumt ein, dass er zunächst Zweifel hatte. «Doch nachdem ich das zweite Mal darüber nachgedacht hatte, fand ich die Methode überzeugend.»
Nach Riederers Erfahrungen rühren bei Schleudertrauma-Patienten die Schmerzen oft von lokalen Entzündungen her. «Wenn man diese Punkte gezielt erwärmt und intensiv durchblutet, wie das bei Rigenera geschieht, dann kann die Entzündung zurückgehen oder verschwinden», sagt er. Darüber hinaus sieht er kaum die Gefahr einer Nebenwirkung. Riederers Fazit: «Wenn die Methode Erleichterung bringt, sollte man sie anwenden.»
Sein Berner Kollege Lukas Fierz ist etwas skeptischer: «Schleudertrauma ist eine Epidemie in den motorisierten Industrieländern», sagt er. «Es gibt bis heute keine Therapie, die bei kritischer Überprüfung zur Heilung führt.» Doch das heisst nicht, dass die Gruppe um Holdener aufgeben soll. Fierz wäre «auf die Ergebnisse einer gut kontrollierten Studie sehr gespannt». «Denn», so meint er, «in der Medizingeschichte hat es immer auch Wunder gegeben.»
So vermeiden Sie ein chronisches Schleudertrauma
1. Vor dem Aufprall: Wenn Sie den Aufprall kommen sehen.
- Stehen Sie mit dem rechten Bein voll auf die Bremse.
- Spannen Sie das linke Bein ebenfalls an.
- Drücken Sie die Arme durch und stemmen Sie sich mit aller Kraft gegen das Lenkrad.
- Drücken Sie den Kopf in die Kopfstütze und den Rücken in die Lehne.
2. Nach dem Aufprall: Schreiben Sie sofort nach dem Unfall den Hergang genau auf.
- Woher kam das Auto?
- Sass ich richtig im Sitz?
- War ich angeschnallt?
- Ist mein Kopf gegen die Scheibe geprallt?
- Kann ich mich an alles erinnern?
- Habe ich für eine kurze Zeit das Bewusstsein verloren?
Diese Fragen sind wichtig für den Arzt. Sie könnten auf eine versteckte Gehirnerschütterung hinweisen.
- Gehen Sie sofort zum Arzt, wenn nach dem Unfall Rückenprobleme, Schwindelgefühle, Kopf- oder Nackenschmerzen auftreten. Eine frühzeitige Behandlung vermindert das Risiko, dass die Schmerzen chronisch werden.
3. Akute Behandlung: Nach genauer Abklärung des Hergangs.
- Der Arzt wird anhand der Röntgenbilder die Verletzung diagnostizieren. Wichtig: Die meisten Schleudertraumata sind auf dem Röntgenbild nicht sichtbar.
- Medikamentöse Behandlung mit Schmerzmittel und Entzündungshemmer.
4. Dauerbehandlung:
- Halskrausen schaden meist mehr, als dass sie nützen.
- Beginnen Sie schnell mit der Physiotherapie. Wichtig dabei: Sie erhalten Anweisungen, wie Sie Schmerzen vermeiden können, und lernen Entspannungsübungen, die Sie zu Hause selbständig durchführen können. Der Therapeut sollte nicht am Hals manipulieren.
Quellen: Dr. Hansjürg Holdener, Zürich, Prof. Thierry Ettlin, Chefarzt und Medizinischer Direktor, Rehaklinik Rheinfelden