Mit hohem Tempo fährt Lars Bamert (Name geändert) auf dem Snowboard der Schanze zu. Er will einen Rückwärtssalto machen, doch der Absprung gelingt nicht richtig. Der 18-jährige Lars kracht kopfvoran auf die Piste und bleibt liegen. Die Rega fliegt ihn nach Chur ins Spital. Erst drei Tage später kommt er wieder zu Bewusstsein. Diagnose: eine schwere Hirnerschütterung.
Der Unfall ereignete sich letzten Winter im Snowpark in Arosa GR. Der Student aus Zürich trägt keine bleibenden Schäden davon – «ausser ab und zu ein wenig Kopfweh».
Lars Bamert hatte Glück. Häufig enden Unfälle in Snowparks schlimmer: Die Jugendlichen schlagen nach einem Sprung über Schanzen und Halfpipes hart auf Rücken, Gesäss oder Kopf auf und verletzen sich teils schwer. Rund 5600 Ski- und Snowboardfahrer verletzen sich laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung jede Saison in Snowparks – Tendenz steigend. Fast jeder zehnte Unfall in den Skigebieten findet heute in einem Snowpark statt.
Weil Freestyler oft aus grossen Höhen auf den pickelharten Grund stürzen, sind die Verletzungen gravierender als auf der Piste: Verletzte Snowparkfahrer müssen häufiger in ein Spital eingeliefert werden als Pistenfahrer. Das zeigen Studien aus Kanada und den USA.
«Häufig Wirbelsäulen- und Beckenbrüche»
Die Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen von Unfallchirurgen in der Schweiz. Christian Ryf, Chefarzt des Spitals Davos, beobachtet «klar mehr Jugendliche mit Wirbelsäulenverletzungen».
Im Kantonsspital Chur machen die Ärzte dieselbe Beobachtung. Co-Chefarzt und Chirurg Christoph Sommer sagt: «Häufig sind Wirbelsäulenbrüche, aber auch Beckenbrüche. Dies vor allem bei harten Schneeverhältnissen.» Und auch Sommer stellt fest: In Snowparks gibt es schwerere Verletzungen als auf der Piste. Das sei vor allem die Folge von Kollisionen mit Metallteilen und Geländern, worüber die Freestyler springen und fahren würden.
Doch auch Stürze nach waghalsigen Sprüngen haben es in sich. So hat Christoph Sommer zwei Patienten behandelt, die beidseitig Hüftpfannenbrüche erlitten. Die zwei Patienten hatten sie sich in einem Snowpark zugezogen. «Hüftpfannenbrüche gehören zu den am schwierigsten zu behandelnden Verletzungen», sagt Sommer. Der eine Unfall geschah nach einem Sturz in der Halfpipe auf die harte Kante des Kanals. Der andere auf einem sogenannten Kicker, einer kleinen, doch steilen Schanze.
Zahlreiche Wintersportorte bauen für ihre Gäste Snowparks mit Kicks, Jibs, Rails und Jumps. Das sind aus Schnee und Eis gebaute Schanzen, Röhren und Sprünge. Sie wollen damit die Jungen anlocken. Die grösseren Skiorte haben häufig auch eine Halfpipe, eine nach oben offene Halbröhre, in der man Tricks und Sprünge machen kann.
Das Problem: Weder in der EU noch in der Schweiz gibt es technische Normen zur Sicherheit solcher Snowparks. Für den Ski- und Snowboardfahrer ist es oft schwierig, sichere von gefährlichen Sprüngen zu unterscheiden. Auch auf kleinen Schanzen kann ein Snowboarder ungewollt extrem hoch und weit in die Höhe katapultiert werden. Arzt Christian Ryf stellt fest: «Viele Jugendliche fahren in eine Schanze rein, ohne zu wissen, was danach kommt.»
Für Snowparks gibt es nur Minimalvorschriften
Seit dieser Saison gibt es für die Betreiber von Snowparks zwar einen Leitfaden, nach dem sie sich zu richten haben. Herausgeberin ist unter anderem die Beratungsstelle für Unfallverhütung. Doch die Betreiber müssen bloss dafür sorgen, dass der Snowpark sichtbar von der Piste abgetrennt sowie mit einer Tafel beschildert ist und auch Anfänger darauf fahren können. Für sie braucht es gemäss Richtlinien Sprünge, die maximal einen halben Meter hoch sind.
Ein Augenschein am 8. Januar in Hoch-Ybrig zeigte jedoch: Die Betreiber des Snowparks Hesisbol gewährleisten nicht einmal das. Der Bereich zu den steilen Schanzen ist von der Piste nicht abgetrennt. Unachtsame Skifahrer stehen plötzlich unterhalb einer drei Meter hohen Schanze. Der Snowpark ist auch nicht für Anfänger geeignet. Er ist in einem steilen Hang angelegt, die kleinsten Sprünge sind einen Meter hoch. Nur eine Tafel zuoberst macht die Sportler auf den Park und die Regeln aufmerksam.
Die meisten Ski- und Snowboardfahrer, die an diesem Tag über die Schanzen springen, haben nach eigenen Angaben Respekt davor (siehe Umfrage Seite 20). Der 22-jährige Silvan Dermont aus Einsiedeln SZ sagt, der Boden sei hart und die Sprünge hoch – er riskiere deshalb nicht allzu viel. Schon einmal riss ihm wegen eines Sturzes nach einer hohen Schanze das Seitenband des Knies. «Ein andermal brach ich mir den Arm, als ich von einer Rail fiel.»
Experten fordern Einsteigerparks
Der Verantwortliche der Hoch-Ybrig-Bergbahnen schreibt dem Gesundheitstipp bloss, auf der Hinweistafel oberhalb des Snowparks stehe, dass man den Park vor dem ersten Gebrauch besichtigen solle. «Die meisten Unfälle passieren nur, weil man sein eigenes Können überschätzt.»
Um die Snowparks sicherer zu machen, will die Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) die Betreiber verpflichten, Einsteigerparks zu bauen, die weniger hohe Schanzen haben. Laut David Kerschbaumer, Schneesport-Experte der bfu, sind in Einsteigerparks Schanzen so gebaut, dass man nicht bloss darüber springen, sondern auch darüber fahren kann. «Wenn man sich sachte an eine Schanze herantastet, kommts gut.»
Diese Bestrebungen stossen bei einigen Gebieten auf Gehör: Arosa zum Beispiel verzichtet seit dieser Saison auf die Halfpipe. Die Mediensprecherin sagt, sie würden neu auch keine extremen Sprünge mehr bauen und keine schmalen Rails installieren. «Dort ist die Unfallgefahr viel grösser.» Die Snowpark-Pisten seien zudem in drei Schwierigkeitsstufen unterteilt: leicht, mittel, schwer.
Aufruf: Welche Erfahrungen haben Sie mit Snowparks gemacht?
Schreiben Sie uns: Redaktion Gesundheitstipp «Snowparks» Postfach 277, 8024 Zürich redaktion@gesundheitstipp.ch
TIPPS: Snowpark: So verhalten Sie sich richtig
- Wärmen Sie sich auf.
- Schauen Sie sich das Gelände zuerst genau an, bevor Sie springen.
- Planen Sie jeden einzelnen Lauf: Wie wollen Sie springen, wo nehmen Sie Anlauf?
- Beginnen Sie mit kleinen Schanzen und einfachen Tricks.
- Heben Sie die Hand, bevor Sie losfahren. So zeigen Sie, dass Sie an der Reihe sind.
- Schanzen und Elemente, die mit «Small» gekennzeichnet sind, weisen eine geringe Fallhöhe auf und sind auch für Einsteiger befahrbar.
Quelle: Verhaltensregeln der Beratungsstelle für Unfallverhütung
Samuel Blaser, 19: «Trage immer einen Rückenschutz»
«Ich habe mit kleinen Schanzen angefangen und ich weiss, wie ich richtig stürzen muss, wenn es beim Sprung schief gehen sollte. Den Rückenschutz trage ich immer.»
Pascal Kälin, 19: «Ich muss niemandem etwas beweisen»
«Der Schnee heute ist pickelhart, auch im Snowpark. Ich riskiere deshalb keine grossen Sprünge, das ist es mir nicht wert. Einen Gruppendruck kenne ich nicht, ich muss niemandem etwas beweisen.»
Marc Vögeli, 24: «Heute sind mir die Risiken bewusster»
«Stürze gehören dazu. Einmal habe ich mir die Rippen gequetscht. Noch vor ein paar Jahren habe ich viel mehr gewagt. Jetzt sind mir die Risiken bewusster. Ich trage einen Rückenschutz.»
Silvan Dermont, 22: «Ich habe mich schon mehrmals verletzt»
«Hier im Snowpark in Hoch-Ybrig sind die Sprünge recht hoch, ich riskiere deshalb wenig. Verletzt habe ich mich schon mehrmals bei Sprüngen.»