Weisheitszähne - Zu viele müssen grundlos raus
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Gesundheitstipp 3/2001
01.03.2001
24-Jährige wehrte sich erfolgreich
«Die Weisheitszähne müssen raus», raten immer mehr Zahnärzte ihren Patienten. Häufig sind die Zähne jedoch völlig gesund und machen keine Beschwerden. Franziska Brunner hat sich gegen den unnötigen Eingriff gewehrt.
Thomas Grether thgrether@pulstipp.ch
Kaum war Claudio Minder der neue Mister Schweiz, hatte er schon eine dicke Backe. Der 21-jährige Schönling hatte sich alle vier Weisheitszähne ziehen lass...
24-Jährige wehrte sich erfolgreich
«Die Weisheitszähne müssen raus», raten immer mehr Zahnärzte ihren Patienten. Häufig sind die Zähne jedoch völlig gesund und machen keine Beschwerden. Franziska Brunner hat sich gegen den unnötigen Eingriff gewehrt.
Thomas Grether thgrether@pulstipp.ch
Kaum war Claudio Minder der neue Mister Schweiz, hatte er schon eine dicke Backe. Der 21-jährige Schönling hatte sich alle vier Weisheitszähne ziehen lassen - aufs Mal. «Zwei standen richtig schief. Ich hatte deswegen starke Kopfschmerzen», sagt Minder. Die beiden anderen habe er sich auch gleich ziehen lassen.
Weisheitszähne machen häufig Probleme: Schauen sie nur ein bisschen aus dem Zahnfleisch raus, können Karies, Infektionen oder andere Entzündungen entstehen. Haben die Zähne zu wenig Platz, drücken sie auf andere. Zahnärzte greifen deshalb bei Weisheitszähnen häufig zu Skalpell und Zange.
Zu häufig und ohne Grund, klagen jetzt immer mehr Patienten. So auch Franziska Brunner: «Ich hatte keinerlei Beschwerden. Meine Zahnärztin bestätigte mir zudem, dass die Weisheitszähne genügend Platz haben. Trotzdem riet sie mir, alle herausoperieren zu lassen», sagt die 24-jährige Studentin aus Schnottwil SO. Auch Beat Müller, 28, aus Basel hatte keine Probleme mit seinen Weisheitszähnen. «Die müssen alle raus», habe der Zahnarzt bei einer Routinekontrolle plötzlich gesagt.
«Komplikationen lassen sich nicht vorhersagen»
Immer mehr Zahnärzte entfernen Weisheitszähne rein vorsorglich. Die eigentlich gesunden Zähne müssen weg, um möglichen späteren Problemen vorzubeugen. «Komplikationen lassen sich natürlich nicht sicher vorhersagen», sagt Andreas Filippi, Oberarzt in der Klinik für Oralchirurgie der Universität Bern. «Wir fragen uns täglich, ob wir wirklich Gutes tun, wenn wir Weisheitszähne vorsorglich entfernen.»
Eingriff bringt mehr Schmerzen als Nutzen
Haben die Weisheitszähne genügend Platz, gibt es laut Filippi keinen Grund, sie zu ziehen. «Wenn sie keine Beschwerden machen, sollten die Zahnärzte sie drin lassen.» Doch sogar dann legen Zahnärzte jungen Patienten einen Eingriff nahe, wie das Beispiel von Franziska Brunner zeigt. Sie reagierte selbstbewusst: «Ich sagte der Ärztin, dass ich keinen Grund sehe, die Zähne zu entfernen. Ich habe schliesslich keine Beschwerden.»
Der Nutzen des vorsorglichen Ziehens ist nicht bewiesen. Bis anhin gemachte Studien sind qualitativ schlecht: Zu diesem Schluss kommt eine kürzlich in der Zeitschrift «Clinical Evidence» veröffentlichte Untersuchung. Fazit: «Die Schmerzen des Eingriffs sind grösser als der Nutzen.» Der Eingriff sei zudem nicht ohne Risiko: Einer von 200 Patienten habe nach dem Eingriff eine dauerhaft gefühllose Zunge oder Lippe, weil der Zahnarzt Nerven verletzt hat.
Nervenverletzungen können auf zwei Arten passieren:
- Der Zahnarzt trifft beim Spritzen der Lokalanästhesie versehentlich den Nerv und beschädigt ihn.
- Der Zahnarzt verletzt den Nerv, wenn er das Zahnfleisch zur Seite schiebt.
Das leichtfertige Entfernen von Weisheitszähnen in jungen Jahren könne sich zudem im Alter als Nachteil erweisen, warnt Professor Hans Jürgen Gülzow, Direktor der Abteilung für Präventive Zahnheilkunde der Universität Hamburg. «Älteren Menschen fehlen oft einige Zähne. Weisheitszähne können an deren Stelle wichtige Funktionen übernehmen.» Weil die Weisheitszähne erst im Alter von zirka 20 Jahren ganz das Zahnfleisch durchstossen, sind sie rund 14 Jahre jünger als die anderen Zähne - und in besserem Zustand.
Löchern Sie den Zahnarzt
Steht bei Ihnen die Operation von Weisheitszähnen an? Der Puls-Tipp sagt, worauf Sie achten müssen.
Die Operation von Weisheitszähnen ist kein Routine-Eingriff ohne Risiko: Es können Infektionen sowie Nerven- oder Kieferschäden entstehen. Andreas Filippi, Oberarzt in der Klinik für Oralchirurgie der Universität Bern, rät Folgendes:
- Lassen Sie sich vom Zahnarzt den Eingriff und die möglichen Folgen genau erklären. Filippi: «Stellen Sie so lange Fragen, bis Sie frei und sicher entscheiden können.»
- Holen Sie eine Zweitmeinung ein, wenn Sie unsicher sind. Zahnärzte, die sich in Oral- oder Kieferchirurgie weitergebildet haben, haben am meisten Erfahrung mit Weisheitszähnen.
- Das Entfernen von gesunden Weisheitszähnen, die Ihnen keine Beschwerden machen ist meist unnötig.
- Lassen Sie sich höchstens zwei Weisheitszähne aufs Mal herausoperieren oder ziehen. Die körperliche Belastung ist oft zu gross.
- Klären Sie ab, ob Ihre Krankenkasse die Behandlung bezahlt. Filippi: «In der Regel zahlt sie nur, wenn ein Weisheitszahn wegen Zysten oder Infektionen rausmuss.»