Im Februar warb Postfinance in der «Sonntags-Zeitung» in einer ganzseitigen Anzeige für ihr neues Produkt: ein «Callable Multi Barrier Reverse Convertible». Im Inserat steht: «Der Anleger erhält eine Couponzahlung in Höhe von 12,84 Prozent p.a.» Dabei handelt es sich um ein sogenanntes strukturiertes Produkt. Mit ihm gewähren Anleger der Bank ein Darlehen. Der Zins und die Höhe der Rückzahlung sind von verschiedenen Bedingungen abhängig. Das Finanzhaus Leonteq warb im Januar in der «Finanz und Wirtschaft» für ein strukturiertes Produkt, das auf die Bergbauaktien der Unternehmen Glencore und Rio Tinto setzt. Der in Aussicht gestellte jährliche Zinsertrag liegt bei 10,8 Prozent.
Wer den Namen «Callable Multi Barrier Reverse Convertible» versteht, erkennt die Risiken eines solchen Produkts. Zum Beispiel desjenigen von Leonteq:
«Callable» bedeutet, dass das Finanzinstitut das Darlehen vorzeitig zurückzahlen kann – bereits nach sechs Monaten. Im Fall von Leonteq würde sich die in Aussicht gestellte Jahresrendite auf 5,4 Prozent halbieren.
«Multi» bedeutet, dass das Produkt von der Entwicklung mehrerer verschiedener Aktien abhängig ist.
«Barrier» steht für Schwelle. Anlegern drohen hohe Verluste, wenn bei diesem Produkt nur eine der Bergbauaktien um mehr als 40 Prozent sinkt. Denn die massgebende Schwelle liegt bei 60 Prozent.
«Convertible» steht für Wandelanleihen – also für ein Darlehen, das in Aktien umgewandelt wird. Wird beim Leonteq-Produkt die Schwelle von 60 Prozent unterschritten, wird das Darlehen des Anlegers in Aktien von Glencore oder Rio Tinto umgewandelt. Anders als bei normalen Wandelanleihen geschieht das nicht, wenn die Aktie steigt, sondern wenn sie sinkt. Daher der Begriff «Reverse».
«Reverse» bedeutet umgekehrt. Es kann also passieren, dass man am Ende der Laufzeit statt des Darlehens ein paar Aktien zurückerhält, die nicht mehr viel wert sind. Fest bleibt einzig der Zins bis zum Ende der Laufzeit.
Mit der Höhe des Zinses steigt auch das Verlustrisiko
Ein Verlust ist durchaus möglich. So fiel die Glencore-Aktie in nur fünf Monaten von Ende April bis Ende September 2015 um 77 Prozent. Deshalb gilt für strukturierte Produkte, was an der Börse generell gilt: Je höher der versprochene Ertrag, desto höher das Risiko für den Anleger.
Doch auch strukturierte Produkte mit niedrigem Zins sind oft keine bessere Anlage. Raiffeisen warb Anfang März in der «NZZ» für einen Barrier Reverse Convertible auf den Lebensmittelhersteller Nestlé, das Pharmaunternehmen Roche, die Rückversicherungsgesellschaft Swiss Re und die Zurich-Versicherung. Versprochener Zins: 4 Prozent. Das ist die Rendite für das Risiko, die schlechteste dieser Aktien übernehmen zu müssen, falls eine – oder mehrere – dieser vier Aktien abstürzt.
Die häufigen Inserate in den Zeitungen deuten darauf hin, dass sich solche Produkte für die Banken lohnen. Eine ganzseitige Anzeige in der «Sonntags-Zeitung» kostet gemäss dem Inseratetarif über 30000 Franken und in der «NZZ» immerhin knapp 20000 Franken.
Wichtige Informationen für Anleger stehen nur im Kleingedruckten
Finanzinstitute können ein strukturiertes Produkt schneller auf den Markt bringen als einen Fonds. Es gibt in der Schweiz fast keine Hürden. Es genügt, wenn man bei der Schweizer Börse ein entsprechendes Gesuch einreicht.
Vinzenz Mathys von der Finanzmarktaufsicht (Finma) sagt: «Strukturierte Produkte unterliegen weder der Genehmigungspflicht durch die Finma noch unterstehen sie deren Aufsicht.» Pro Monat kommen gut 3000 neue strukturierte Produkte an die Schweizer Börse. Aktuell sind dort rund 37000 verschiedene strukturierte Produkte handelbar.
Im Ausland sind strukturierte Produkte oft viel strenger geregelt als in der Schweiz (siehe Unten). Das Kollektivanlagegesetz gibt in der Schweiz nur laxe Regeln vor für den Vertrieb von strukturierten Produkten. Beispielsweise muss ein vereinfachter Prospekt vorliegen. Er beschreibt die Gewinn- und Verlustaussichten für Anleger und müsste «für Durchschnittsanleger leicht verständlich» sein.
Die knappen Informationen in den Anzeigen stellen allerdings keinen vereinfachten Prospekt im Sinne des Gesetzes dar. Und leicht verständlich sind die Sätze auch nicht. Das einfache Wort «Totalverlust» wird in einem Raiffeisen-Inserat etwa wie folgt umschrieben: «Das Risiko entspricht demjenigen einer Direktanlage in den Basiswert mit der schwächsten Kursentwicklung.»
Im Kleingedruckten der Inserate verweisen die Herausgeber der Produkte meistens ganz allgemein auf ihre eigene Website. Dort sollen Anleger den vereinfachten Prospekt selber suchen. Ebenfalls nur im Kleingedruckten stehen wichtige Details. Dort weisen Banken zum Beispiel auf das Ausfallrisiko der Bank hin. Sprich: Ist der Herausgeber zahlungsunfähig, ist das Wertpapier wertlos. Genau das passierte 2008 mit den Papieren der untergangenen US-Investmentbank Lehman Brothers – die Anleger verloren ihr Vermögen.
Strenge Regeln in Belgien: In der Werbung sind Fachbegriffe verboten
In verschiedenen anderen europäischen Ländern sind strukturierte Produkte deutlich strengeren Regeln unterworfen als in der Schweiz.
Norwegen beispielsweise verbietet seit elf Jahren entsprechende Werbung. Finanzberater, die diese Produkte dennoch verkaufen wollen, müssen prüfen, ob der mögliche Käufer eines Finanzprodukts die Risiken tatsächlich versteht.
In Belgien haben alle Banken und Versicherer ein freiwilliges Moratorium unterschrieben. Ist ein Produkt zu komplex, darf es nicht verkauft werden.
Zu den besonders komplexen Produkten zählen laut der belgischen Finanzaufsicht die Barrier Reverse Convertibles. Werbung für strukturierte Produkte ist in Belgien zwar nicht verboten, aber die Finanzinstitute müssen sämtliche Werbeunterlagen von der Finanzaufsicht genehmigen lassen. Banken dürfen in der Werbung auch keine Fachbegriffe verwenden. Nicht erlaubt ist Werbung für Finanzprodukte, bei der die Höhe des möglichen Zinssatzes im Vordergrund steht. Das heisst: Die in der Schweiz veröffentlichten Inserate für strukturierte Produkte wären in Belgien wohl unzulässig.