Beim Erben übergangen oder benachteiligt - so wehren Sie sich!
Haben Sie Anrecht auf einen Pflichtteil und wollen wissen, ob Sie beim Erben zu kurz gekommen sind und wie Sie sich dagegen wehren können? K-Geld zeigt Ihnen Schritt für Schritt, wie Sie dabei vorgehen müssen.
Inhalt
K-Geld 5/2002
01.10.2002
Wer feststellt, dass er bei einer Erbschaft seinen Pflichtteil nur zum Teil oder gar nicht erhalten hat, muss sich das nicht gefallen lassen. Beispiel: Ein Vater hat sein ganzes Vermögen statt seinem Sohn einer Stiftung vermacht. Diese Zuwendung, die den Pflichtteil verletzt, wird zwar nicht automatisch hinfällig. Aber der Sohn kann sich notfalls vor Gericht zur Wehr setzen.
Vermögen beim Tod ist nicht massgebend
Würde der Nachlass nur aus den Vermögens...
Wer feststellt, dass er bei einer Erbschaft seinen Pflichtteil nur zum Teil oder gar nicht erhalten hat, muss sich das nicht gefallen lassen. Beispiel: Ein Vater hat sein ganzes Vermögen statt seinem Sohn einer Stiftung vermacht. Diese Zuwendung, die den Pflichtteil verletzt, wird zwar nicht automatisch hinfällig. Aber der Sohn kann sich notfalls vor Gericht zur Wehr setzen.
Vermögen beim Tod ist nicht massgebend
Würde der Nachlass nur aus den Vermögenswerten bestehen, die beim Tod noch vorhanden sind, wäre es um den Pflichtteilsschutz der Erben schlecht bestellt. Dann könnte man Pflichtteilserben nämlich leer ausgehen lassen, indem man sein Vermögen zu Lebzeiten verteilen würde.
Das darf man aber nur, wenn der Pflichtteil dadurch nicht tangiert wird. Passiert das doch, kann man dagegen vorgehen. Folglich ist für die Berechnung des Pflichtteils nicht das Vermögen massgebend, das beim Tod des Nahestehenden noch vorhanden ist. Die Erben dürfen Geschenke und andere Zuwendungen, die dieser zu seinen Lebzeiten gemacht hat, zum effektiven Nachlass dazuzählen, so als ob diese Vermögenswerte noch vorhanden wären.
Das dürfen Sie hinzurechnen
Geschenke im üblichen Rahmen werden nicht zur Erbmasse gerechnet. Doch die folgenden Werte gehören rechnerisch in den Nachlass:
- Alle grösseren Zuwendungen an gesetzliche Erben zu Lebzeiten. Beispiel: Der Vater hat seiner Lieblingstochter ein Auto geschenkt.
- Schenkungen an nicht gesetzliche Erben innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Tod des Erblassers. Beispiel: Der Erblasser hat drei Jahre vor seinem Tod seiner Lebensgefährtin ein wertvolles Gemälde geschenkt.
- Ebenso Schenkungen, die mehr als fünf Jahre zurückliegen, sofern der Erblasser sie gemacht hat, um die Pflichtteile gezielt zu umgehen.
- Abfindungen für Erbauskäufe. Beispiel: Ein Sohn wandert aus, um sich mit seiner Familie in Australien eine neue Existenz aufzubauen. Vater und Sohn kommen überein, dass der Sohn bereits bei der Auswanderung Geld für seine neue Existenz bekommt, dafür aber auf seine spätere Erbenstellung verzichtet.
- Der Rückkaufswert einer Lebensversicherung.
Auf der anderen Seite muss man aber auch die Schulden der verstorbenen Person sowie die bei ihrem Tod anfallenden Auslagen wie Begräbniskosten oder Gebühren für die Testamentseröffnung abziehen.
Pflichtteilsberechnung erfolgt per Todestag
Wie viel der Pflichtteil betragsmässig ausmacht, richtet sich nach dem Wert aller Vermögensbestandteile, also auch der hinzugerechneten, am Todestag. War das Gemälde - um auf das vorangehende Beispiel zurückzukommen -, das die Lebensgefährtin bekommen hatte, damals 100 000 Franken wert, bei seinem Tod aber 200 000 Franken, so sind dem Nachlass 200 000 Franken hinzuzurechnen.
Nun kann der Erbe feststellen, ob er seinen Pflichtteil erhalten hat. Wenn nicht, sollte er auf die Personen und Miterben zugehen, die der Erblasser zu Unrecht begünstigt hat.
Der Gang vor Gericht
Stösst er dort auf taube Ohren, kann sich der Betroffene mit der so genannten Herabsetzungsklage beim Gericht zur Wehr setzen. Er muss die Klage gegen jene Personen einreichen, die der Erblasser oder die Erblasserin zu Lasten seines Pflichtteils begünstigt hat.
Gibt das Gericht dem Kläger Recht, wird es von den Begünstigten verlangen, dass sie ihm so viel zurückgeben, bis sein Pflichtteil «aufgefüllt» ist. Dies nennt sich Herabsetzung. Beispiel: Eine Frau hat ihrem Lebensgefährten kurz vor ihrem Tod ihr Haus überschrieben. Nun ist nicht mehr genug für den Pflichtteil ihrer beiden Töchter vorhanden. Das angerufene Gericht stellt den Lebensgefährten vor die Wahl: Entweder vergütet er den Töchtern den Geldbetrag, der auf ihren Pflichtteil entfällt, oder er überlässt das Haus dem Nachlass und lässt sich umgekehrt den Betrag auszahlen, der nach Abzug der Pflichtteile übrig bleibt.
Wen trifft die Herabsetzung?
Haben mehrere Personen und Miterben Zuwendungen erhalten, die den Pflichtteil eines anderen Erben beschneiden, stellt sich die Frage: Wen triffts? Wessen Zuwendung wird herabgesetzt?
- Regel 1: Zuerst setzt der Richter die Zuwendungen jener Personen herab, die der Erblasser im Testament oder im Erbvertrag bedacht hat. Wer dagegen zu Lebzeiten vom Erblasser etwas bekommen hat, wird vom Gesetz zunächst verschont, weil der Vollzug zeitlich weiter zurückliegt.
- Regel 2: Erst wenn die Erben dadurch ihren Pflichtteil noch immer nicht erhalten haben, setzt der Richter Schenkungen und Zuwendungen herab, die der Verstorbene zu Lebzeiten ausgerichtet hat.
- Regel 3: Enthält das Testament oder der Erbvertrag mehrere Zuwendungen, die den Pflichtteil verletzen, werden sie proportional gesenkt. Dasselbe gilt für eine Mehrheit von Schenkungen, die der Erblasser zu seinen Lebzeiten gemacht hat.
Ungewiss ist allerdings, ob der geschenkte Gegenstand - etwa ein Auto oder Schmuck - im Zeitpunkt der Klage überhaupt noch vorhanden ist. Diese Schenkungen liegen oft viele Jahre zurück. Vielleicht hat der Beschenkte den Gegenstand verkauft oder verloren oder er wurde gar beschädigt. Trifft den Beschenkten keine Schuld, wird ihm der Richter keinen Strick daraus drehen. Die betreffende Person muss in keinem Fall dem Werte nach mehr herausgeben, als sie noch besitzt.
Kurze Klagefrist
Für den Erben, dessen Pflichtteil verletzt wurde, ist schnelles Handeln angesagt. Das Recht auf Herabsetzung verjährt nämlich bereits ein Jahr nachdem er weiss, dass sein Pflichtteil verletzt worden ist.
Das kann aber erst viele Jahre nach dem Tod des Erblassers sein - etwa wenn ein Sohn per Zufall erfährt, dass sein Vater seine zweite Ehefrau zu Lebzeiten mit grosszügigen Geldgeschenken bedacht hat. Die endgültige Grenze liegt bei zehn Jahren nach dem Tod oder nach einer allfälligen Testamentseröffnung. Erfährt der Erbe erst nach Ablauf dieser zehn Jahre von einer Pflichtteilsverletzung, kann er nicht mehr klagen.
Zuständig für Herabsetzungsklagen ist stets das Zivilgericht am letzten Wohnsitz der verstorbenen Person und nicht etwa am Wohnsitz eines Miterben oder Begünstigten.
Ausnahme: Zulässige Verletzung des Pflichtteils
In zwei Fällen müssen Erben eine Verletzung ihres Pflichtteils hinnehmen. Diese Ausnahmen betreffen aber ausschliesslich die gemeinsamen Kinder des Erblassers und seines Ehegatten.
- Die Ehegatten können einander die Nutzniessung am Erbteil ihrer Kinder überlassen. Das müssen sie aber testamentarisch festlegen. Die Kinder können dann erst beim Tod des zweiten Elternteils über ihr Erbe verfügen.
- Ferner können Ehegatten, die unter dem Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung stehen, in einem Ehevertrag bestimmen, dass der überlebende Partner die ganze Errungenschaft bekommt, anstelle der gesetzlich vorgesehenen Hälfte. Besitzt ein Ehegatte im Extremfall nur Errungenschaft, hinterlässt er gar keine Erbschaft.
Das Gesetz mutet den gemeinsamen Kindern diese Pflichtteilsverletzungen deshalb zu, weil sie spätestens beim Tod des zweiten Elternteils in den Genuss des Vermögens kommen.
Rita Kornfeld
Glossar
Pflichtteil: Das ist der gesetzlich garantierte Erbteil. Anrecht darauf haben nur die Nachkommen, der Ehegatte und - sofern keine Nachkommen vorhanden sind - die Eltern. Wie gross der Pflichtteil ist, erfahren Sie in K-Geld, Ausgabe 2/02.
Erbauskauf: Hier verzichtet der Erbe in einem Erbvertrag mit dem Erblasser endgültig auf seinen Erbanspruch und erhält dafür eine Abfindung.
Errungenschaftsbeteiligung: Jeder Ehegatte hat bei der Auflösung eines solchen Güterstands Anspruch auf die Hälfte der Errungenschaft des anderen. In die Errungenschaft gehören Anschaffungen und Ersparnisse, die aus dem Einkommen und aus Vermögenserträgen stammen.