Kaffee ist in Kolumbien immer noch ein Grundnahrungsmittel. Die Provinzen Caldas, Quindío und Risaralda bilden die Eje Cafetero, auf Deutsch Kaffeeachse. Die Region ist eines der Hauptanbaugebiete in dem Land, das sich selbstbewusst des besten Kaffees auf der Welt rühmt. Auf den Kaffeefincas trinkt man Kaffee fast so wie Wasser – von Sonnenaufgang um halb sechs Uhr bis kurz vor dem Schlafengehen.
Pereira ist die selbsternannte Hauptstadt der Eje Cafetero. Dort finden sich Cafés an fast jeder Strassenecke. Die «ambulantes», die Strassenverkäufer, formieren sich mit ihren mit Thermoskannen beladenen Wägelchen schon im Morgengrauen auf den Plätzen. Ein kleiner schwarzer Kaffee, genannt Tinto, kostet 1500 Pesos, umgerechnet etwa 33 Rappen. Den Pintadito genannten Milchkaffee gibt es für 2000 Pesos (44 Rappen). Gesüsst wird mit Vollrohrzucker, der hier Panela heisst.
Das «Cafetín» liegt direkt hinter der Kathedrale von Pereira und ist eines der traditionellen Cafés der Stadt. Dort treffen sich morgens Berufstätige vor der Arbeit zum Kaffee oder Senioren zum längeren Plausch. Nachmittags ändert sich das Ambiente, wenn Kaffee durch Polas abgelöst wird. Das sind 0,33-Liter-Bierflaschen. So ist auch die Bar eingerichtet: Auf der einen Seite steht die grosse Greca, eine griechische Kaffeemaschine, die bis zu 120 Tintos brüht, daneben stapelt sich Kaffeegeschirr, und auf der anderen Seite stehen kleine Biergläser und aufgestapelte Bierkisten. Süsses oder salziges Gebäck sucht man hier vergebens.
Natürlich gibt es auch schickere Cafés. So hat die kolumbianische Café-Kette Juan Valdez mehrere Filialen in der Stadt. Ihr Kaffee wird auch in Europa verkauft. Cappuccini, Caffè Latte oder andere gehobene Kreationen kosten deutlich mehr als ein Tinto oder ein Pintadito, schmecken aber nicht besser. Die Fr. 4.50, die heute eine Tasse Kaffee in der Schweiz durchschnittlich kostet, muten hier astronomisch hoch an.
In Kolumbien liegt der monatliche Mindestlohn bei gerade einmal 285 Franken. Diesen Lohn verdienen fast alle, die in Pereira als Landarbeiter, Erntehelfer, in den Geschäften und anderswo arbeiten. Ein Blick auf die Erzeugerpreise zeigt: Für eine «Ladung» Rohkaffee (120 Kilo) zahlt die kolumbianische Kaffeeföderation Fedecafé den Bauern zurzeit knapp 300 Franken. Auch deswegen sind Tintos und Pintaditos hier so günstig.
Der Kaffeereichtum Kolumbiens kann allerdings auch ein Fluch sein. Die Ernte im Oktober 2023 war schlecht, gleichzeitig sank auf dem Weltmarkt der Preis für Kaffee, und die Teuerung in Kolumbien ist hoch. Kolumbiens Kaffeebauern verdienten vergangenes Jahr kaum etwas – das wirkt sich direkt auf die Wirtschaft in den Dörfern und bis nach Pereira aus.
Unbestritten ist: Selbst einfacher Thermoskannenkaffee von Strassenverkäufern ist köstlich. Es handelt sich um einen ungemischten Arabica aus der Umgebung, meistens handsortiert und nicht überröstet. Auch deswegen dreht es einem nicht den Magen um, wenn man pro Tag ein halbes bis ganzes Dutzend Tintos oder Pintaditos trinkt.