Wenn in Usbekistan ein Paar heiratet, zieht die Frau ins Haus ihres zukünftigen Mannes. Oft wohnen ihre Schwiegereltern unter dem gleichen Dach. So ist es auch bei der 29-jährigen Gulmira. Seit ihrer Hochzeit lebt sie in einem Viergenerationenhaus in der Stadt Shimbay, zusammen mit ihrem Mann Serpay, den drei Kindern sowie Serpays Eltern und seiner Grossmutter Perdegul.
Gulmira lernte von der heute 85-jährigen Perdegul das Weben. Die für Zentralasien typischen Jurten aus Filz sind nämlich auf dem Fussboden und an den Wänden mit bunten Wollteppichen geschmückt. Einst lebten Nomaden in Jurten, die heute überwiegend dem Tourismus dienen oder von der lokalen Bevölkerung während den heissen zentralasiatischen Sommern für Picknicks genutzt werden. Die Stadt Shimbay ist dafür bekannt, dass lokale Handwerker die unterschiedlichsten Jurten herstellen und im In- und Ausland verkaufen.
Gulmiras Mann Serpay und ihre Schwiegereltern arbeiten seit zwei Jahren temporär im Nachbarland Kasachstan – Serpay und sein Vater auf einer Baustelle, die Mutter in der Gastronomie. Alle paar Monate kehren sie in die Stadt zurück.
Karakalpakstan ist eine autonome Republik im Westen von Usbekistan und wirtschaftlich nur schwach entwickelt. Der Boden ist zu versalzen, um etwas anzubauen, und auch sonst gibt es nur wenige attraktive Jobs. Karakalpakstan ist dort, wo sich einst der viertgrösste See der Erde befand, der Aralsee. Er trocknete aus, nachdem die Sowjetunion durch Baumwollanbau die gesamten Wasserressourcen erschöpft hatte.
Mit dem Aralsee verlor Karakalpakstan eine seiner wichtigsten Wirtschaftsquellen. Auch darum sind die Menschen vor allem in ländlichen Gegenden auf Geld aus dem Ausland angewiesen. Dieses kommt meist von männlichen Familienmitgliedern, die zum Arbeiten nach Russland, in die Türkei, nach Kasachstan oder Europa auswanderten. Nach einigen Jahren Sparen sind sie in der Lage, im Dorf ein Haus zu bauen, ein kleines Geschäft zu eröffnen oder die Ausbildung der Kinder zu finanzieren.
Geld aus dem Ausland ist ein Grundpfeiler der usbekischen Wirtschaft und macht etwa einen Fünftel des Bruttoinlandproduktes aus. Bis 2022 kamen rund 80 Prozent dieser Sendungen aus Russland. Seit dem Ukrainekrieg suchen Usbeken vermehrt Arbeit in anderen Staaten, in Ostasien und Europa.
Wie viel Geld ihr Mann und die Schwiegereltern an die Familie heimschicken, kann Gulmira nicht sagen. Den Überblick über die Finanzen hat nämlich Perdegul, die Grossmutter ihres Mannes. Anders als in vielen Gebieten im patriarchalisch geprägten Zentralasien haben Frauen in Karakalpakstan einen hohen Stellenwert. Mit viel Respekt begegnet man den ältesten Frauen des Haushalts. Sie sind es auch, welche die Finanzen für die Grossfamilie verwalten.