Der Stern-Eintrag im Telefonverzeichnis schützt nicht mehr vor unerwünschten Anrufen. Es gibt zwar Unternehmen, die sich offiziell verpflichten, keine Personen zu kontaktieren, die auf der Sperrliste sind. Doch der Alltag sieht anders aus. Lästige Telefonanrufe sind ein grosses Ärgernis. Oft werden dabei tolle Geschäfte versprochen.
Ich selbst – ausgerechnet als Wirtschaftsspezialist und Berater – bekomme häufig Anrufe von Finanzprodukt-Vermittlern. Meist sind das Aktien von neuen, unbekannten Unternehmen, angeboten von Graumarkthändlern. Sie versuchen, Kleinanlegern die vermeintliche Top-Aktie von morgen anzudrehen.
«Guten Tag, Herr Jakob, möchten Sie ein tolles Geschäft machen?», säuselte eine mir unbekannte Stimme am Telefon. Obwohl ich einen Stern-Eintrag habe. Und fast ohne Pause hob ein Mann zu Lobeshymnen an über eine Firma namens Securecell. Der sensationelle Börsengang stehe bevor. Ich könne im Vorfeld bereits Aktien zeichnen – für 22 Franken pro Aktie. Mit 5000 Stück könne ich dabei sein. Der wahre Aktienwert liege bei 35 bis 40 Franken. Diese einmalige Gelegenheit dürfe ich mir nicht entgehen lassen. Der Verkäufer stellte sich als Mitarbeiter der Firma Salfried in Zürich vor.
Skepsis ist dennoch angebracht, denke ich. Welche Firma verkauft sich selbst indirekt an der Telefonstrippe? Ist das seriös?
Der freundliche Mitarbeiter beruhigt mich. Die Biotech-Firma Securecell brauche Geld für die Markteinführung einer künstlichen Bauchspeicheldrüse. Ich hake nach und bekomme Informationsmaterial zugeschickt.
Auf der Securecell-Website sind die Informationen dürftig. Auch die Prospekte der Securecell und deren Tochter Seraccess, die die künstliche Drüse in Eigenregie entwickeln will, sind eher einfach gehalten. Erste Umsatzerlöse aus dem Verkauf der künstlichen Drüse, die vor allem Zuckerkranken das Leben erleichtern soll, werden gemäss Geschäftsplan erst 2021 erreicht. Danach soll der Umsatz Jahr für Jahr um 20 Prozent wachsen. Dazu hat man die einmal projizierten Zahlen einfach pro Land mit jeweils 1,2 multipliziert, quer über den Planeten.
Einzelaktien einzig nach Beratung am Telefon zu kaufen ist «hochriskant»
Immerhin: Die Muttergesellschaft mache schon 2 Millionen Franken Gewinn mit bereits bestehenden Biotechprodukten, wird mir versichert. Und das, obwohl sie erst 2009 gegründet wurde. Ich bin misstrauisch und forsche nach. Ein Kontrollanruf bestätigt: Der Chef der Securecell in Schlieren ZH hat die Salfried AG beauftragt, «Aktien der Firma Securecell AG im Rahmen der Finanzierungsphase 2b an private Investoren heranzutragen». Soweit scheint alles in Ordnung.
Doch Biotech-Experte Andreas Wicki warnt: «Direkte Beteiligungen an jungen Biotech-Firmen sind immer mit sehr grossen Risiken behaftet.» Und er ergänzt: «Solche Investitionen sind, wenn überhaupt, nur Investoren zu empfehlen, die eine vertiefte Firmenanalyse durchführen können und über das Fachwissen im jeweiligen Spezialgebiet verfügen.» Wicki ist Geschäftsführer der Beteiligungsgesellschaft HBM in Zug und auf Investitionen auf diesem Gebiet spezialisiert. Eine einzelne Aktie zu kaufen, und das nur aufgrund einer telefonischen Beratung, sei sicher ein hochriskanter Weg.
Ich zeige die Salfried-Unterlagen einem weiteren Fachmann: Holger Bengs. Er hat einen Anlageführer über Biotechnologieaktien geschrieben und ist Ratgeber für Innovation, Strategie und Wachstum. Bengs sitzt im Herausgeberrat mehrerer Chemie-Fachzeitschriften. Er warnt Kleinanleger vor Graumarkt-Aktien.
Tatsache ist: Nichtfachleute können die Spreu nicht vom Weizen trennen. Selbst wenn eine Firma ein aussichtsreiches Produkt, etwa ein neues Medikament, auf den Markt bringen will, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es scheitert. Kommt hinzu, dass solche Aktien zunächst an keiner Börse gehandelt werden. Das kann sich genau dann rächen, wenn man sie wieder zu Geld machen will. Denn ohne geregelten Markt, sprich Börse, wird es schwierig, einen Käufer zu finden.
«Nur eines von 47 Biotech-Unternehmen bringt jemals ein erfolgreiches Produkt heraus», sagte einst Cytos-Chef Wolfgang Renner. Die Firma ist in Zürich angesiedelt und knapp vor dem Konkurs gerettet worden. Impfungen gegen zahlreiche Laster und Leiden wie Rauchen, Kokainsucht, Asthma oder Bluthochdruck wollte Cytos auf den Markt bringen. Von einst stolzen 174 Franken stürzte der Kurs auf 9 Rappen ab. Jetzt steht die Aktie bei rund 50 Rappen. Niemand weiss, wie die Reise weitergeht. Cytos war vor zehn Jahren der Liebling der Wirtschaftsjournalisten. Wer aber einen grossen Teil seines Vermögens in diesen einst vielversprechenden Titel investierte, hat ein gewaltiges Klumpenrisiko auf sich genommen.
Andreas Wicki, selbst Biochemiker, steht Einzelinvestments in Securecell und anderen Titeln daher skeptisch gegenüber: «Privatanleger sollten in erster Linie in sektorspezifische Investitionsgesellschaften oder Fonds investieren.» Das hat den Vorteil der Risikostreuung. Ein einzelner Ausfall kann durch andere Aktien im Fonds ausgeglichen werden. Es ist auch schon vorgekommen, dass ein Titel im Fonds sich vervielfachte und den ganzen Fonds oder den gesamten Wert der Beteiligungsgesellschaft nach oben schnellen liess. Solche Aktien findet man aber schwerlich am Telefon. Salfried hat dazu nicht Stellung genommen.
Da ich nicht anbeisse, hat man bei Salfried schnell auch die passende Alternative: Einen Online-Poker-Betreiber auf den Philippinen. Aktienpreis: € 3.35. Doch ich bin kein Spieler.