NEUE VARIANTE CREUTZFELDT JAKOB - Angst vor verseuchtem Blut
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saldo 7/2002
10.04.2002
Forscher können nicht ausschliessen, dass sich die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit via Blut überträgt. Die USA verbieten Blutimporte aus dem BSE-Land Schweiz. Spender sind verunsichert.
Man hat mich vom Blutspenden ausgeschlossen. Bin ich krank?» Mit solchen Fragen ist der Blutspendedienst des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) seit April 2001 ständig konfrontiert. Das SRK schliesst seit einem Jahr Spender aus, die zwischen 1980 und 1996 mehr als sechs Monate i...
Forscher können nicht ausschliessen, dass sich die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit via Blut überträgt. Die USA verbieten Blutimporte aus dem BSE-Land Schweiz. Spender sind verunsichert.
Man hat mich vom Blutspenden ausgeschlossen. Bin ich krank?» Mit solchen Fragen ist der Blutspendedienst des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) seit April 2001 ständig konfrontiert. Das SRK schliesst seit einem Jahr Spender aus, die zwischen 1980 und 1996 mehr als sechs Monate in Grossbritannien waren. So soll verhindert werden, dass bei Bluttransfusionen in Spitälern die menschliche Form von Rinderwahnsinn (BSE) weitergegeben wird. Seit September 2000 befürchten Forscher, dass die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD) im Blut übertragbar ist.
Erreger sind bei Mensch, Schaf und Rind identisch
Beim Schaf ist es Wissenschaftern des Institute for Animal Health in Edinburgh gelungen, den Erreger durch den roten Lebenssaft zu übertragen. Unbestritten ist, dass diese Prionen beim Menschen identisch sind mit denen von Schafen und Rindern. Der Zürcher Prionenforscher Adriano Aguzzi bestätigt: «Es ist nicht auszuschliessen, dass die neue Variante im Blut übertragen wird, wobei dies bis jetzt noch nie beobachtet wurde. Doch wir müssen diese Möglichkeit ernst nehmen.»
Europas Blutspendedienste sind alarmiert: Sie fürchten verseuchte Konserven. Angela Robinson, medizinische Direktorin des britischen Blutservice, warnt: «Das ist wahrscheinlich die grösste Herausforderung, die der Blutservice in Grossbritannien je hatte.»
England: Blut von Erkrankten im Umlauf
Der Schweizer Blutspendedienst handelt. Direktor Rudolf Schwabe: «Wir haben rund 10 000 Spender ausgeschlossen. Zudem filtern wir seit Juli 1999 weisse Blutkörperchen aus dem Blut.» Forscher vermuten, dass sich darin die krankheitsübertragenden Prionen befinden - das Bundesamt für Gesundheit (BAG) schreibt diese Massnahme seit September 1999 vor.
Erschreckend: In Grossbritannien haben bereits 22 Spitalpatienten Transfusionen von vCJD-Erkrankten erhalten, schreibt «The Guardian». Britische Ärzte mussten das den Betroffenen erstmals mitteilen, um zu verhindern, dass sie mit Blut- oder Organspenden die Krankheit allenfalls weitergeben.
Tatsache ist: Obwohl die BSE-Fälle abnehmen, wächst das Problem der an der neuen Creutzfeldt-Jakob-Variante Erkrankten. Bis 28. März sind daran offiziell 110 Briten gestorben; in der Schweiz laut BAG noch niemand. Doch Colette Rogivue, Prionenfachfrau beim BAG, sagt: «Es würde Fachleute nicht erstaunen, wenn auch bei uns Menschen an vCJD erkranken. Man muss damit rechnen.»
Die Gesundheitsbehörde der USA verbietet per 31. Oktober den Blutimport aus Ländern, in denen Kühe an Rinderwahnsinn erkrankt sind. Der Schweizer Blutspendedienst kann dann die jährlichen 15 Tonnen Blut im Wert von 2 Millionen Franken nicht mehr nach New York verkaufen. Bereits jetzt lehnt das US-amerikanische Rote Kreuz Spender ab, die seit 1980 länger als sechs Monate in BSE-Ländern wie der Schweiz gelebt haben. Dies, weil es noch keinen Test gibt, mit dem man vCJD-verseuchtes Blut aussortieren kann. Aguzzi: «Ein zuverlässiger Bluttest würde das Problem ziemlich lösen.»
«Bis jetzt mit blauen Flecken davongekommen»
Der britische Sammeldienst befürchtet, dass schlimmstenfalls noch halb so viele Menschen Blut spenden - aus Angst vor einem negativen Testresultat. Das SRK bereitet sich auf einen Rückgang vor. Schwabe bestätigt: «Wir arbeiten Szenarien aus, was passieren würde, wenn massiv weniger Leute Blut geben.» Noch reichen die Reserven für drei Wochen - damit steht die Schweiz europaweit gut da. Schwabe: «Bis jetzt haben wir wegen der menschlichen BSE-Variante nur am Rand blaue Flecken abbekommen.»
Marc Meschenmoser
BSE-Erreger - Forderung nach Tests auch für Muskelfleisch
Bisher gingen Forscher davon aus, dass sich die Erreger des Rinderwahnsinns (BSE) sowie der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit nicht im Muskelfleisch befinden. Mitte März haben nun Forscher der University of California bei Mäusen im Hinterbeinmuskel die Erregerprionen gefunden.
Bisher beruhigten Wissenschafter wie der Zürcher Prionenforscher Adriano Aguzzi, dass man sich beim Essen von BSE-Fleisch nicht mit der tödlichen Hirnkrankheit anstecken könne. Aguzzi sagt nun gegenüber saldo: «Natürlich ist das keine gute Nachricht. Doch es bleibt dabei: Bei sämtlichen Tests an Rindern wurden nie BSE-Prionen im Muskelfleisch gefunden. Was nicht heisst, dass nicht minimalste Mengen unterhalb der Test-Nachweisgrenze doch vorhanden sein könnten.» Für ihn ist klar: Dieser erschreckende Befund verlangt genauere Untersuchungen. Aguzzi: «Die internationalen Behörden sollen weiter gehende Forschungen finanzieren.»