Fast die Hälfte der Angestellten in der Schweiz hat die Pensionskasse bei einer Versicherungsgesellschaft. Deshalb steht für die Versicherer mit der Abstimmung über die Rentenreform am 24. September viel auf dem Spiel.
Zwar sieht ihre Dachorganisation, der Schweizerische Versicherungsverband (SVV), in der Vorlage keinen grossen Wurf. Trotzdem befürwortet der SVV die Reform. Der Hauptgrund: die geplante Senkung des gesetzlichen Umwandlungssatzes von aktuell 6,8 auf 6 Prozent. Das würde die Rentenausgaben der Versicherer über die Jahre um Milliarden senken (K-Tipp 13/2017).
Der Umwandlungssatz bestimmt, wie hoch die Altersrente aus dem in der Pensionskasse angesparten Kapital ausfällt. Beispiel: Hat ein Angestellter bis zur Pensionierung in der obligatorischen Vorsorge 100 000 Franken beisammen, bekommt er beim heutigen Umwandlungssatz eine Rente von 6800 Franken pro Jahr. Mit einem Umwandlungssatz von 6 Prozent wären es nur noch 6000 Franken – also rund 12 Prozent weniger.
Im Geschäft mit der 2. Säule sind die Gesellschaften Swiss Life, Axa, Basler, Helvetia, Allianz Suisse, Zurich, Pax und Mobiliar aktiv. Sie verwalten das Pensionskassenkapital von rund 1,78 Millionen Angestellten und 247 000 Rentenbezügern in der Schweiz. Ende 2015 betrug das bei ihnen angesparte Vermögen der Versicherten gut 186 Milliarden Franken. Neuere Zahlen wurden bisher nicht veröffentlicht.
10 Prozent des Ertrags gehen weg
Mit ihrem Vollversicherungsmodell richten sich die Lebensversicherungen vor allem an kleine und mittlere Gewerbebetriebe. Sie garantieren den Versicherten die vertraglich vereinbarten Leistungen für Alter, Tod und Invalidität. Dafür dürfen die Versicherer zehn Prozent des jährlichen Gesamtertrags als Gewinn abschöpfen.
Allein von 2010 bis 2015 erwirtschafteten die acht Versicherungsgesellschaften mit der 2. Säule einen Überschuss von insgesamt 17,3 Milliarden Franken. Davon verbuchten sie rund 3,9 Milliarden als Gewinn. Den Rest verwendeten sie gemäss Finanzmarktaufsicht (Finma) für Rückstellungen und Zuweisungen an den Überschussfonds (siehe Grafik und Tabelle im PDF).
Der Gewerkschaft Travailsuisse ist die Höhe der Gewinne seit langem ein Dorn im Auge. Sie spricht von «verlorenen Milliarden» für die Versicherten.
Die Versicherer wiederum kritisieren, dass der Umwandlungssatz viel zu hoch sei. Die Menschen würden immer älter. Und mit dem gesparten Kapital lasse sich keine ausreichende Rendite mehr erzielen, um Renten zum aktuellen Umwandlungssatz bis ans Lebensende zu finanzieren. Die Folge sei eine jährliche Umverteilung in Milliardenhöhe von den Erwerbstätigen zu den Rentnern.
Wirklich? Josef Hunkeler, Ökonom und ehemaliger Experte des Preisüberwachers, hat nachgerechnet: Demnach erzielten die Lebensversicherungen von 2008 bis 2015 mit den von ihnen verwalteten Pensionskassengeldern im Durchschnitt eine Rendite von 3,58 Prozent pro Jahr («Saldo» 11/2017). Hunkelers Berechnungen stützen sich auf Datenmaterial, das bei der Finma einsehbar ist. Laut Hunkeler genügt den Versicherern – bei 2 Prozent Verwaltungskosten – ein jährlicher Zinsertrag von 3,54 Prozent, um den heutigen Umwandlungssatz von 6,8 Prozent zu finanzieren.
Was die künftige Entwicklung der Zinserträge betrifft, macht der Experte nicht auf Alarmismus. Die von der Finma publizierten Zahlen der Lebensversicherer zeigten, «dass die Kapitalmärkte als Ganzes sehr wohl in der Lage sind, eine vernünftige Kapitalrendite zu generieren.» Auch könne er «aus den Marktindizes keinen aussergewöhnlichen Zerfall der Kapitalerträge erkennen».
Zunehmende Alterung ist nicht erwiesen
Schwierig würde es allenfalls dann, wenn sich die Prophezeiung der Rentenkürzungsbefürworter bewahrheiten sollte, dass die Menschen immer älter werden. Das ist aber keineswegs sicher. In der Schweiz geht die restliche Lebenserwartung der 65-jährigen Frauen seit 2010, jene der gleichaltrigen Männer seit 2013 auf und ab. Gemäss Bundesamt für Statistik stieg sie 2016 bei Frauen auf 22,6 und bei Männern auf 19,8 Jahre. 2015 war sie bei beiden Geschlechtern im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 Jahre gesunken.
Vor gut sieben Jahren stand die Senkung des gesetzlichen Umwandlungssatzes zum letzten Mal zur Debatte. Schon damals brachten die Lebensversicherer die gleichen Argumente wie heute. Der Versicherungsverband warnte zudem davor, dass ein überhöhter Mindestumwandlungssatz «die finanzielle Sicherheit der Vorsorgeeinrichtungen» beeinträchtige oder gar gefährde. Er wolle zwar nicht mit dem Ausstieg der Lebensversicherer aus dem Geschäft mit der 2. Säule drohen, sagte der damalige CVP-Nationalrat und PR-Leiter des Versicherungsverbands, Norbert Hochreutener. Er behauptete aber, das Geschäft sei «für die Versicherer schon heute nicht mehr wahnsinnig interessant, weil es keine grossen Gewinne bringt».
Die Stimmberechtigten liessen sich davon nicht beeindrucken: Im März 2010 lehnten sie die Vorlage mit fast 73 Prozent Nein-Stimmen ab. Trotzdem lagen die Gewinne der Versicherungen seither jedes Jahr über 600 Millionen.
70-Franken-Zuschuss wird an Teuerung angepasst
In seinen Informationen zur Rentenreform 2020 schrieb der K-Tipp (Ausgabe 13/2017) unter anderem, der 70-Franken- Zuschuss an die AHV-Rente werde nicht an die Teuerung angepasst. Diese Angabe stützte sich auf Aussagen von Sozialversicherungsexperten.
Korrekt ist: Gemäss Vorlage passt der Bundesrat die ordentlichen Renten und den Zuschuss «in der Regel alle zwei Jahre der Lohn- und Preisentwicklung an».