K-Geld-Leser Werner Enz (Name geändert) ist Inhaber und Angestellter eines Architekturbüros im Kanton Aargau. Anfang 2021 liess er sich mit gut 63 Jahren teilpensionieren. Er reduzierte das Arbeitspensum von 100 auf 40 Prozent. Dabei durfte er einen Anteil von 600 000 Franken seines Vorsorgeguthabens beziehen, das sich auf total eine Million Franken belief. Die restlichen 400 000 Franken wollte sich Enz dann bei der ordentlichen Pensionierung mit 65 Jahren, im Sommer 2022, auszahlen lassen.
Mit diesem Vorgehen kann der Aargauer Steuern sparen. Denn bei der Auszahlung von Pensionskassengeldern wird die Kapitalauszahlungssteuer fällig. Sie wird separat vom Einkommen berechnet und ist tiefer als die Einkommenssteuer. Aber sie unterliegt beim Bund und in den meisten Kantonen ebenfalls einer Progression (K-Geld 6/2021). Das heisst: Je höher die ausbezahlte Summe, desto höher fällt der prozentuale Steuersatz aus. Wer das Guthaben über mehrere Jahre in Tranchen statt auf einmal bezieht, muss somit weniger Steuern bezahlen. Im Fall Enz wären es rund 5000 Franken gewesen.
Doch Architekt Enz machte einen Fehler. 2021 leistete er viele Überstunden. Statt 40 Prozent arbeitete er 60 Prozent. Somit hätte er nur 400 000 Franken statt 600 000 Franken seines Vorsorgeguthabens beziehen dürfen.
Muss er die zu viel bezogenen 200 000 Franken nachträglich als Einkommen versteuern? Nicht unbedingt. Werner Enz hat die Möglichkeit, den Betrag an die Pensionskasse zurückzuzahlen. Kann oder will er das nicht, eröffnen die Aargauer Steuerbehörden ein Nachsteuerverfahren und besteuern die zu viel bezogenen 200 000 Franken zusammen mit dem übrigen Einkommen zum normalen Tarif. Werner Enz müsste dann rund 30 000 Franken Nachsteuern bezahlen (siehe Kasten im PDF).
Kantone behandeln solche Fälle sehr unterschiedlich
Nicht alle Kantone gehen gleich vor wie der Aargau. Das zeigt eine K-Geld-Umfrage bei elf kantonalen Steuerbehörden der Deutschschweiz. Die Steuerpflichtigen haben bei einem zu hohen Bezug aus der 2. Säule grundsätzlich die Möglichkeit, das zu viel bezogene Geld an die Pensionskasse zurückzuzahlen (Ausnahme: Thurgau). Tun sie das nicht, wird der zu viel bezogene Teil in Luzern, St. Gallen, Solothurn und Zürich ebenfalls als Einkommen besteuert. In Freiburg und Graubünden fällt der Steuerrabatt für den Vorbezug weg, das heisst, die Kapitalauszahlungssteuer wird auf der Totalsumme berechnet. Anders im Kanton Thurgau: Dort gibt es kein Nachsteuerverfahren. Dafür werden die Abzüge für die Pensionskasse nur noch auf dem reduzierten Lohn akzeptiert, im Fall Enz also im Umfang von 40 statt 60 Prozent der Pensionskassenbeiträge.
Neben der Teilpensionierung gibt es weitere Möglichkeiten, um Vorsorgeguthaben vorzeitig zu beziehen: Wer sich selbständig macht, Wohneigentum zum Eigenbedarf kauft oder die Schweiz für immer verlässt, kann sich das Pensionskassengeld auszahlen lassen. Auch hier wird nur die reduzierte Kapitalauszahlungssteuer fällig. Zeigt sich, dass der Bezug zu Unrecht erfolgte, weil man nie selbständig wurde oder die Wohnung vermietete, muss man das Geld in die 2. Säule zurückzahlen. Sonst drohen hohe Nachsteuern. Das bezogene Kapital wird dann zusammen mit dem übrigen Einkommen besteuert.
So teuer können Nachsteuern werden
Beispiel Stadt Aarau: Reduktion Arbeitspensum Anfang 2021 von 100 Prozent auf 40 Prozent, Bezug von 60 Prozent Vorsorgeguthaben (600 000 von 1 Million Franken). Effektive Pensumsreduktion nur 40 Prozent. Mitte 2022 Auszahlung Restguthaben von 400 000 Franken. Nachsteuer ohne Berücksichtigung des Erwerbseinkommens.